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Oh Sweet Nothing - Doug Yule, Rockstar ohne Karriere.
27. Mai 1973: der arbeitslose Sänger
und Gitarrist Doug Yule spielt zusammen mit seinem Bruder Billy
und zwei Typen aus der Nachbarschaft am Wochenende in Bars in Massachussets.
Manchmal schreiben die Veranstalter Velvet Underground aufs
Plakat und das ist Doug Yule ein wenig peinlich. Es sollte nie wieder
vorkommen.
Oktober 1968: Es klingelt das Telefon
in Boston bei Doug Yule. Dran ist Steve Sesnick, zuständig
für alles Böse im Velvet-Underground-Mythos und Manager
der Band. Sesnick kennt Yule, weil die Velvets manchmal in dessen
Wohngemeinschaft übernachten, wenn sie sich in Boston kein
Hotel leisten können. Mit Sterling Morrison verbindet Doug
Yule eine Gitarristenfreundschaft. Ob er Bass spielen will bei Velvet
Underground? Eigentlich nicht so richtig gern: Andy Warhol hat sich
verabschiedet, die zweite Platte läuft auch nicht besonders,
außerdem sei er Gitarrist und Sänger, aber dann doch,
was soll's, die eigene Gruppe The Grass Menagerie hat noch
nicht mal eine Single draußen, und so kommt es, dass Doug
Yule auf dem ersten Stück auf der A-Seite der dritten VU-LP
gleich als Lead-Sänger debütieren darf. Fängt doch
nicht schlecht an, die Chose...
Doug Yule singt also, er spielt Bass
und elektrische Orgel und wird von Lou auf der Bühne als "Mein
Bruder Doug" vorgestellt...
Während Velvet Underground
1969 immer wieder ins Studio gehen, um eine vierte LP für MGM
aufzunehmen, ist die Plattenfirma der unkommerziellen Junkie-Combo
aus New York müde, deren Songs nie im Radio laufen und die
selbst in ihrer Heimat New York nur schwer einen Job kriegt. Die
letzten MGM-Aufnahmen kommen in den Giftschrank und erst 1985 als
"VU - A Collection of Previously Unreleased Recordings"
auf den Markt.
Doug Yule spielt den Bass sehr melodieorientiert,
aber dennoch recht knackig. Während Mo schwanger ist und Sterling
wieder mehr an Anglistik interessiert, wächst Doug immer stärker
in die Rolle des kleinen Reed-Bruders und des Ratgebers hinein.
Lou holt sich bei Doug musikalische und technische Tipps; die Haare
und die Stimme werden immer ähnlicher. Auf der vierten Platte
LOADED, die 1970 bei Atlantic erscheint und endlich beweisen soll,
dass die Gruppe auch Hits haben kann, darf Doug auf zwei Stücken
den führenden Gesangspart übernehmen, und man muss schon
extrem gut Bescheid wissen, um die beiden Lead-Sänger auseinanderhalten
zu können.
23. August 1970: Brigid Polk nimmt
mit einem Mono-Cassettenrekorder zufällig die letzte Velvet-Underground-Performance
mit Lou Reed auf. Sie wird zwei Jahre später das Tape für
10.000 Dollar an Atlantic Records verkaufen, die das Bootleg als
LIVE AT MAX'S KANSAS CITY veröffentlichen und damit quasi legalisieren.
Neben Sterling Morrison, Lou Reed, Doug Yule trommelt Dougs jüngerer
Bruder Billy.
Da Lou Reed die Gruppe verlassen hat,
wird die gerade fertig gestellte LOADED von Manager Sesnick nochmals
überarbeitet und die Legende von der geschändeten vierten
Platte nimmt ihren Lauf, die erst 1997 mit der Doppel-CD FULLY LOADED
aus der Welt geschafft wird, auf der alle Outtakes und Mixvarianten
enthalten sind, die die Archive hergeben. LOADED bleibt trotzdem
ein großartiges Durcheinander: So spielten insgesamt vier
Schlagzeuger auf der Platte, aber niemals Mo Tucker, die zu Zeiten
der Aufnahmen hochschwanger war. Dafür sieht man sie auf den
Bandfotos zu LOADED neben Doug Yule, Willie Alexander und Walter
Powers, während unter dem Bild die Namen von Lou Reed und Sterling
Morrison stehen, Reed erst an dritter Stelle der Besetzungsliste
aufgeführt, alle wichtigen Instrumente bei Doug Yule.
Egal, die Platte kommt nicht einmal
in die Top Hundred. Manager Sesnick hört nicht auf, die Velvet-Kuh
zu melken. Er lässt die eher konfliktscheuen Mo und Sterling
hinter Doug Yule weiterspielen; als neuer Bassist wird Walter Powers
geholt. Alle tun so, als hätte der Fortgang des Gruppengründers
und wichtigsten Songschreibers keine größere Bedeutung;
die Gruppe geht angeblich sogar nochmals ins Studio, um Aufnahmen
einer fünften LP vorzubereiten. Sterling steigt schließlich
doch aus; Manager Sesnick holt Willie Alexander aus Boston und schließt
Verträge über Tourneen ab, die erfüllt werden müssen.
Statt Lou Reed wartet Doug Yule auf den Mann.
Wenn die Gruppe nicht tourt, ist sie
eigentlich aufgelöst, aber Sesnick schickt sie immer wieder
los als The Velvet Underground, anders würde sie niemand hören
wollen. Zwischendurch arbeitet Doug Yule als Zimmerer am Bau, dann
heißt es: Back to Europe. In England spielen sie in Unis,
in Holland nehmen sie einen Preis fürs Gesamtwerk entgegen
und 1972 schickt Sesnick Doug Yule allein mit Deep-Purple-Schlagzeuger
Ian Paice in ein englisches Studio, um SQUEEZE aufzunehmen, die
fünfte und letzte Studioplatte unter dem Markenzeichen Velvet
Underground. Mit Mo war das letzte Mitglied der ursprünglichen
Formation damit auch aus dem Rennen. Doug Yule schämte sich
offenbar so sehr für SQUEEZE, dass er Songs aus dieser Platte
bei Live-Konzerten als "Lieder von meiner LP, die hier nicht
veröffentlicht worden ist"ankündigte. Halbwegs objektiv
gehört sind die Velvet-Underground-Bootlegs der Doug-Yule-Zeit
musikalisch irgendwo zwischen Rolling-Stones-Cover-Band und
Grateful-Dead-Jam zu verorten, ein Platz, wo die Originalmitglieder
niemals hingewollt hätten.
1973 fand die letzte nach Velvet Underground
benannte Mini-Tournee statt. Kurz danach fand sich Doug Yule wieder
im Lou-Reed-Umfeld, der ihn mit auf Tour nahm und auf einem Song
der LP SALLY CAN'T DANCE Bass spielen ließ.
Mitte der 70er Jahre war Doug Yule
Mitglied von American Flyer, einer Band aus zukurzgekommenen
Popstars, die auf verstümmelte Karrieren bei Blood, Sweat
& Tears, bei Blues Magoos und Pure Prairie League
zurück blicken mussten. Nach zwei Alben, die es im Gegensatz
zu LOADED wenigstens in die Charts schafften, zog Doug Yule an die
Westküste, wo er wieder im holzverarbeitetenden Gewerbe tätig
ist, ein wenig in Bands herumspielt und seine Kinder großzieht.
Bei der Aufnahme Velvet Undergrounds in die Rock'n'Roll Hall of
Fame wurde Doug Yules Name nicht genannt. Bei der Velvet-Underground-Reunion
1993 wurde er nicht einmal gefragt, ob er dabei sein möchte.
Er hätte eh keine Zeit gehabt, sagt Doug Yule zwei Jahre später
in einem langen Interview mit Pat Thomas, aber fragen hätten
sie ihn können, schließlich spiele er auf mehr Platten
mit als John Cale. Was unterm Strich irgendwie nicht zählt.
Das war ein Porträt des Rockstars
ohne Karriere: Doug Yule.
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