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Verschwende Deine Jugend – mit diesem Slogan
hat der Journalist Jürgen Teipel im Vorjahr einen beachtlichen
Coup gelandet; seine bei Suhrkamp erschienene Interview-Montage über
die frühen Tage der sogenannten Neuen Deutschen Welle, als
das Bier noch geschnorrt und Peter Hein noch wild und mutig war,
traf offenbar Herz und Nerv einer nachwachsenden Generation von
Musikfans, die sich nach Unmittelbarkeit sehnt, und diese in jenen
längst diffus gewordenen Punkjahren vermutet, irgendwann zwischen
1976 und 1982, irgendwo zwischen Ratinger Hof und CBGB’s,
und irgendjemand, ob Alan Vega oder Frank Fenstermacher, irgendwer
wird doch so freundlich sein und als letzter das Licht ausmachen,
wenn wir alle in den Punkhimmel gekommen sind.
Man mag spötteln ob soviel nostalgischer Hinwendung
an Zeiten und Personen, die einfach nur verwirrt waren, unter Druck geraten,
Zeiten, die so elend kalt und spießig sein konnten, dass man es als halbwegs
denkender und fühlender 20-Jähriger einfach nicht anders aushalten
konnte als ein Gegenmodell aus dem Stegreif zu improvisieren: und dieses Improvisierte,
ob in Deutschland, der Schweiz, den USA oder Großbritannien, hatte naturgemäß überall
etwas Kurzlebiges an sich – und etwas ungeheuer Vielfältiges. Punk
war, schon damals zum Ärgernis der wie immer sich sofort etablierenden Puristen,
Drei-Akkorde-Rock genauso wie Fiepen und Brizzeln aus defekten Spielzeug-Keyboards,
waren Pere Ubu und Stiff Little Fingers und Male und die Residents, waren LSD-Schlucker,
Kiffer, Bierkotzer und Vegetarier, waren mögliche Rocksuperstars wie Clash
genauso wie mögliche Zufalls-Avantgardisten, die zwei Jahrzehnte später
das Abo-Publikum dauerschockieren wie Einstürzende Neubauten. Situationisten
trafen auf späte Beatniks, Zuwanderer aus der Karibik auf junge einheimische
Arbeitslose, Brixton auf Kingston, Hamburg auf München: Wenn die Musik sich
verändert, dann wanken die Mauern der Städte, wie schon die Alten sungen.
Und seltsamerweise ist die Wiederentdeckung der
Neuen Deutschen Vielfalt auch eine Geschichte des Ausschlusses: Wer bei Teipel
nicht vorkommt, hat damals nicht existiert - wie die vitalste aller damaligen
Szenen, die der latzbehosten Hannoveraner um Hollow Skai, wie das seltsame Künstler-Kombinat
aus Limburg um Tom Dokoupil, wie Frankfurts frühe Skinheads. Jedenfalls
wirbelt es und schwurbelt es wieder, und Neue Deutsche Welle wird nicht länger
gleichgesetzt mit Nina oder Nena, wofür allein man Gott, dem allmächtigen
Roadmanager, schon auf Knien danken muss: dass eine Marketinglüge mehr vom
Tisch ist.
Da wäre ja dann Platz für eine Karte
von Norwegen. Denn bei Walfängers und Ölbohrers wiederholt sich die
Geschichte, und ausnahmsweise einmal nicht als Farce: Norway erlebt seine Welle
und eine Generation junger Musiker ist bereit, ihre Jugend zu verschwenden.
Schweden ist für immer Abba plus etwas schweißnasser
Schweine-Rock’n’Roll; Germanisten lachen gerne über skurrile
Finnen - Jimmy Tenor, Leningrad Cowboys, Blaskapellen-Rambazamba -; Dänemark
gewinnt ab und an den Schlager-Grand-Prix. Und Norwegen? Synthesizer-Pop von
a-ha und Neonazi-Metal zu Bildern von brennenden Holzkirchen. Mehr war da nicht.
Randlage. Künstlerisch wie kommerziell nicht von Bedeutung. Bis es vor zwei
Jahren hieß: Quiet is the new loud, leise sei das neue Laut, nicht verwunderlich,
wo doch seit Jahrzehnten bereits ein guter Teil des "most beautiful sound
next to silence", des schönsten Klanges nächst der Stille, aus
norwegischen Studios und Instrumenten kam und als ECM-Jazz zu kaufen war. Und
kein Zufall war es, dass dieses Münchner Jazzlabel sich stark machte für
das kleine, norwegische Rune Grammofon-Label und seine eklektischen Klangschichtungen:
Schon innerhalb dieses elektroakustischen Mikrokosmos’ zeigte sich die
Vielfalt einer in Ruhe gewachsenen Szene, die es verträgt, dass Rocker,
Popstars, DJs, E-Musik-Komponisten und Jazzmusiker gemeinsam und scheint’s
ohne Ego-Probleme an einer neuartigen – ja - Popmusik bastelten, die neben
aller Esoterik auch handfest kommerzielle Früchte tragen durfte: Der Trompeter
Nils Peter Molvaer blies als erster zur Ernte.
Vor allem aber war "Quiet is the new loud" der
Titel einer Platte des Duos Kings of Convenience, die ihre Mischung aus Simon & Garfunkel-haftem
Melodievortrag und extrem zurückhaltenden Song-Skizzen europaweit gut 200.000
mal verkaufen konnten, gefolgt von Röyksopp, quasi dem Dancefloor-Pendant
zu den Kings of Convenience, mit der von den Kings geborgten Stimme von Erlend Øye:
Schon wieder hängt hier jeder mit jedem zusammen, die Welt ist ein Fjord.
2002 wurde das Interesse an leisen Tönen durch
brachialen Punkrock abgelöst, die Trendmaschine kennt keine Ruh’:
so soll es auch sein. Aber Norwegens Szene entwickelt sich in genau dieser unmodischen
Ruhe weiter, die die meisten der Songs und Stücke prägt, dokumentiert
für uns Nicht-Skandinavier auf diversen Compilations wie "Wall of
Sounds presents Tellé", wie "Smalltown Supersampler" oder
wie "Redandblue – Neithernorway", letzterer kenntnisreich,
allerdings sehr Molvaer-und-die-Folgen-fixiert zusammengestellt vom deutschen
Journalisten Wolf Kampmann. All diese Compilations bieten, wie weiland die geschmacks-
und genrebildenden akustischen Musterkoffer der Neuen Deutschen Welle, euphorisch
geratene Momentaufnahmen von begeisternder Lebhaftigkeit, was natürlich
auch heißt: Perlen neben Katzengold, Hits neben kruden Experimenten, Helden
für eine Viertelstunde neben möglichen Popstars der Zukunft. Aber wer
nicht warten will, bis in zwanzig Jahren bei Suhrkamp und Sony die als amtlich
ausgegebene Wahrheit über eine der schönsten Popregionen des beginnenden
21. Jahrhunderts als Buch und CD erscheint, der muss sich eben schon heute auf
das Experiment Neue Norwegische Welle einlassen, die scheuen Lieder von Maria
Solheim, die Klicks am Rande des Hörbaren von Jazzkammer, die epischen Improvisationen
von Supersilent. Denn alles kann schneller vorbei sein als man denkt: Die demnächst
erscheinende Solo-CD "Unrest" von Erlend Øye etwa kündet
schon von der Heimholung der stillen Vettern aus Trondheim, Oslo, Bergen in den
euro-amerikanischen Einheitssound. Unschuld, selbst vermeintliche, hat eine extrem
kurze Halbwertzeit.
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