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Augenstern. Kann man Conor Oberst so nennen? Weil er mal Winona
Ryders Hand halten durfte? Weil er seine bekannteste Band „Bright
Eyes“ nennt? Davor gab es Commander Venus. Daneben Desaparecidos.
Schon verloren im Namenswirbel der Pop-Nerver? Entschuldigung.
Nein, Augenstern kann man Conor Oberst nicht gerade
nennen; auf Fotos sind seine Augen meist rot umrändert oder schwarz umschattet.
Sie blicken gern etwas wirr aus dem blutjungen Gesicht mit dem zu spitzen Kinn,
aber auf eine Art wirr, die uns eigentlich signalisieren möchte, dass dieser
wirre Blick ein Zeichen ist für Kontrolle, für Selbstbeherrschung,
für all das, was sich der Besitzer dieses Blicks verkneift - jawohl Besitzer,
weil so einen Blick hat man sich angeeignet, für den hat man lang geübt.
Oder gelitten. Aber jetzt kann und darf man so schauen, auch wenn man erst Anfang
20 ist und aus Omaha in Nebraska kommt – Landkarte stecken lassen: Der
unbekannteste Staat der USA quetscht sich zwischen Iowa und Wyoming und muss
nördlich von Kansas liegen, wo doch Kansas schon seit dem „Zauberer
von Oz“ als das abgelegenste Stückchen steiniges Nirgendwo gilt, das
die Prärie zu bieten hat. Und dann erst Nebraska…
Doch das gehört inzwischen zum privaten Gründungsmythos
des Popmusikers Conor Oberst, dieses Den-Arsch-der-Welt-in-einen-Kibbuz-der-Kreativität-umgewandelt-Haben.
Man stelle sich vor: ein 14-Jähriger, der mit seiner Band in Nebraska zwei
Alben aufnimmt. Der ein Label namens Saddle Creek ins Leben ruft, das heute als
eine der kreativsten Plattenfirmen der Rockmusik gilt. Dann: ein 17-Jähriger,
der als Bright Eyes mit Liedern ankam – ich kann mich noch genau erinnern
an den Moment -, die einen ziemlich fassungslos zurückließen, als
man sie das erste Mal hörte. Und das zweite Mal. Denn da stürzte ein
Konsensgebäude zusammen, und in dem wohnte die Überzeugung, dass ein
Teenager Verzweiflung, Einsamkeit, Leere, Depressivität nur bis zu einem
bestimmten pubertätsinduzierten Grad empfinden und ausdrücken kann,
was manchmal eine ebenso altkluge wie charmante Mischung aus Gepickel und Geplärre
ergibt, aber nicht weiter ernst genommen werden muss von uns wirklich depressionsfähigen
Erwachsenen, von uns Verlassenen, Enttäuschten, Verletzten einer anderen,
reiferen Generation. Doch was Conor Oberst da intonierte, war von einer so grauenhaften
Verlassenheit durchweht, dass man zwar inständig hoffen mochte, dies sei
alles gut erfunden, aber, nein, man hätte keinen Cent darauf gewettet: „And
if my sadness needs a catalyst, I’ll just uncover my eyes: so much stimulus.“ Kaum
hatte man sich aber auf einen ungewöhnlich talentierten, offenbar authentischen
und auch noch einigermaßen gut aussehenden Leidensmann eingestellt, machte
Oberst Garagenpunk mit den Desaparecidos und gab Parolen aus wie „Read
Music – Speak Spanish!“, auch wenn die Desaparecidos im Plattenladen
niemals unter Fun-Punk eingeordnet werden dürften. Und hatte man schließlich
auch die Oberst’sche Punk-Lektion gelernt, kam er wieder als Bright Eyes
mit einer Horde lebenslustiger, junger Klampfer, Sänger, Trommler, Jodler,
Tambourin-Schüttler an, die mal nach Konzerten von Bright Eyes CDs verhökerten,
mal die Vorband mimten, mal mittendrin die Bühne enterten um mitzumischen.
Oder gleich unter eigenem Namen auf Saddle Creek Platten veröffentlichten.
Ein wenig Basisdemokratie, ein wenig Kommune, ein wenig Ringelpietz mit Anfassen:
und Conor, der tonangebende Jüngling, mittendrin. So gemütlich hätte
es weitergehen können mit der Karriere des Conor Oberst; es sind nicht Wenige
und es sind nicht die Schlechtesten, die es sich auf diese Weise zwischen den
Popwelten eingerichtet haben - nicht Star, nicht Stümper, sondern Dienstleister
eines relativ kleinen, aber weltweit zu findenden Spezialistenzirkels, der seinen
Lieblingen ein vernünftiges Auskommen sichern kann.
Conor Oberst hat im Vorjahr dieses Insider-Getto
verlassen, als er sich nicht altersgemäß der Punk-Kampagne zur Wahlregistrierung
anschloss, sondern mit James Taylor, John Fogerty, Bruce Springsteen um Stimmen
gegen George W. Bush warb – als einziger Act, der rein biologisch dem ersten
Barthaar näher ist als dem letzten Rock. Mit den Rock-Zauseln stellte sich
Conor Oberst auch einem neuen, vermutlich älteren, auf jeden Fall aber mehrheitsfähigeren
Publikum. Und er stellte seine Lieder neben einige der großartigsten Lieder,
die je von Songwriter-Hand geschrieben worden sind.
Die Entscheidung, bei „Vote for Change“ mitzumachen,
stellt sich nun als vielleicht wichtigster Karriereschritt des 24-Jährigen
heraus, auch wenn George W. Bush weiterhin als Präsident auf „Stimmen
von jenseits der Sterne“ hören darf - warum auch nicht? Stimmen von
jenseits der Legalität kennt er ja schon - und somit das eigentliche Ziel
der Kampagne verfehlt worden ist.
Das Wahljahr endete für Conor Oberst alias
Bright Eyes mit zwei Singles gleichzeitig an der Spitze der US-Charts; 2005 beginnt
nun mit der Veröffentlichung von gleich zwei Alben mit den Titeln „Digital
Ash in a Digital Urn“ und „I’m Wide Awake, It’s Morning“ (beide
im Indigo-Vertrieb). Ob diesen beiden CDs ein ähnlicher Verkaufserfolg wie
den Singles beschieden sein wird, bezweifle ich, auch wenn ich ihn gleichzeitig
erhoffe. Die Songs von Conor Oberst leiden nämlich ähnlich wie jene
seines Generationskollegen Adam Green an einer Unentschlossenheit, den Weg zu
diesem neu gewonnenen und nicht aus Experten bestehenden Publikum zu Ende zu
gehen. Oder eben stur der Alte zu bleiben und zu warten, bis Hörer und Käufer
zwangsläufig zu einem kommen. Wo Green sich zum Herumkaspern entscheidet – Joseph
von Westphalen nannte es kürzlich sehr treffend „obladihopsassa“ -,
dort zögert Conor Oberst, seinen potentiellen Fans eine Zeile zum Mitsingen
zu geben, eine gefällige Hookline, eine Chance, sich an die Lieder auch
in fünf und in fünfzig Jahren zu erinnern: Es ist leichter, einen Refrain
zu singen als eine Kurzgeschichte. Ich plädiere hier keinesfalls für
eine Anbiederung an einen eventuell dubiosen Massengeschmack, sondern nur für
Konsequenz: Lou Reed firmiert in den Audio-Programmheften der Fluggesellschaften
als One-Hit-Wonder. Er hat es nie geschafft, für die breite Öffentlichkeit
mehr zu sein als der Kerl von „Walk on the Wild Side“. Conor Oberst
soll nicht der Kerl von „Lua“ werden. Er hat das Zeug zu einem großen
Songwriter, aber bevor ein großer Songwriter zwei Alben abliefert, die
sich wie Bestandteile eines soliden Alterswerks anhören - Gastauftritte
von Emmylou Harris inklusive -, sollte er eigentlich erst einmal beweisen, dass
er zu einem Thema, dass er für einen bestimmten Zeitraum im Wortsinn den
Ton angeben kann. „I’m Wide Awake…“ ist eine gute Platte,
gefällig und klug und bewandert in den Themen der Popgeschichte. Aber eben
auch nicht mehr.
„Digital Ash…“ ist bemüht,
etwas arg dekonstruktivistisch, wenn es um die Sounds geht, die das Instrumentarium
einer Rockband eben so machen kann. Die Musik sagt eigentlich die ganze Zeit: „Alles
halb so wild! Alles nicht so schlimm!“, anstatt klar und einleuchtend und
selbstbewusst eine Position zu beziehen, die frech behauptet, der Mittelpunkt
des Universums zu sein. Das wäre Pop. Conor Oberst ist erstaunlich jung.
Aber er macht schon sehr lang auf hohem Pop-Niveau Musik. So lange, dass man
sich fast schon an ihn gewohnt hat. Es ist jetzt Zeit für ihn. Es ist seine
Zeit. Er sollte sie nutzen. Er sollte unser Augenstern werden.
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