|
Jedes Mal, wenn ich MTV einschalte, wird ein altes Auto repariert.
Früher liefen auf diesem Sender Musikvideos, aber jetzt werden
chromglänzende 17-Zoll-Felgen aufgezogen und Halter für
Bowling-Kugeln in den Kofferraum implantiert, gleich neben dem
DVD-Player mit den Pornofilmen. Und wenn dann einer das Wort "balls"
ausspricht, das sowohl die Bowlingkugeln wie auch die Hoden des
Fahrzeughalters
meinen kann, wälzt sich die Mechaniker-Crew am Boden vor Lachen.
Und da andauernd jemand "balls" sagt, dürfte sich
die Runderneuerung des jeweiligen Schrotthaufens über Wochen
hinziehen. Brüll lach wälz.
Nach der Sendung mit den "balls" kommt
die Sendung mit den HipHop-Millionären, die uns durch ihre Garage führen,
wo spezialvernickelte italienische Boliden neben mit Diamantstaub überzuckerten
Cabrioletten stehen, während das SUV made in USA gar nicht mehr in die doppelhaushälftengroße – Achtung!
- Nobelherberge für – mein Gott, ich muss dieses Wort wirklich hinschrieben – Luxuskarossen
passt. Aber kein Problem, zwei "boys from the ´hood", zwei
ehemalige Freunde also aus dem alten Viertel, denen jetzt ab und zu mal ein "toter
Präsident" hingeworfen wird, also eine Dollarnote, wienern das gute
Stück dreimal täglich ab, damit der Smog von L.A. dieser Sonderanfertigung
nichts anhaben kann. Irgendwann wird dann immer der Kofferraum aufgemacht und
alle wundern sich, wie viele Bassreflexboxen pro Kubikinch doch übereinander
gestapelt werden können. Bumm Boing Tschak.
Während mir Google weismachen will, dass SUV
für Sankt Ulrich Verlag steht, aber jeder Mitteleuropäer, der schon
einmal einen Parkplatz in der Nähe einer innerstädtischen Eisdiele
gesucht hat, weiß, dass es eigentlich Führerscheinklasse II bedeuten
sollte, rollt auf MTV eine neue Herausforderung zu: der "komplett neue",
wie es in der Anzeige heißt, Chevy Colorado Sport. Würde ich vor einer
innerstädtischen Eisdiele nach einem Parkplatz suchen, hielte ich den Chevy
Colorado Sport vermutlich für einen dieser Container, in denen bei uns Asylbewerber
untergebracht werden, nur dass die Stadt hier Geld für immens schicke Felgen
und eine riesige Ladefläche ausgegeben hat. Von der anderen Straßenseite
aus aber könnte ich erkennen, dass es sich um Detroits Antwort auf Wolfsburgs
etwas größeren Golf handeln muss – ich schreibe hier "könnte"
und "würde",
weil der "komplett neue" Chevy Colorado Sport mit Sicherheit unter
jene Sorte waffenscheinpflichtige Hochtechnologie fällt, die ein anständiges
Heimatschutzministerium niemals an unsichere Kantonisten wie die Deutschen ausliefern
lässt. Unsereinem muss der Blick auf eine Anzeige im amerikanischen TeenagermitvielGeldabernichtvielinderBirne-Magazin
"Fade" reichen.
Während weiter hinten im Heft psychedelischer Schwedenrock und mit Reggaeton
ein neuer HipHop-Trend im niemals, niemals negativen Plauderton gefeiert werden,
gehört die erste Doppelseite dem - Sprechen Sie den Namen ruhig einmal laut
aus – Chevy Colorado Sport. Gut, wir Deutsche assoziieren hier vielleicht
etwas zu viel Lakritz und quadratisch, praktisch, gut – aber der Name des
Wagens steht eh eher klein in der rechten unteren Ecke der Anzeige, während
sich über einen halb blauen, halb mit grauen Regenwolken überzogenen
Himmel die Zeile schiebt "An American Revolution". Unter den haushohen
Lettern und vor einer Front getagter, also mit Graffiti-Kürzeln versehener
Lagerhäuser steht er dann samt "slammed and tuned suspension",
eine Kühlergrill gewordene Bedrohung: Man kann die Kinderkörper förmlich
durch die Luft wirbeln sehen, wenn der Bremsweg trotz der sicherlich fantastischen
"all-new" Bremsanlage
mal zu lang sein sollte. Fast beiläufig neben dem Ungeheuer zu lesen ist
der eigentliche Slogan der Kampagne: "You want cute? Buy a puppy." Wenn
man was zum Kuscheln sucht, solle man sich lieber ein Schoßhündchen
kaufen. Vermutlich wälzen sich in den Lagerhäusern im Hintergrund Bowling
spielende Werbefachleute vor Lachen am Boden. Spotz protz kotz.
Alles sei größer und pferdestärker
an diesem Wahnsinn von einem Auto: Man kann das auch für eine trotzige Reaktion
der US-amerikanischen Autoindustrie auf die zunehmende Verfettung der Klientel
halten und deren Wunsch, als Dreizentnerwesen endlich ernst genommen zu werden – diese
Ausgabe des "Fader" nennt sich ja auch "The Now! Issue",
aber eigentlich steht dieses Auto, steht diese Anzeige für dieses Auto,
steht diese Anzeige für dieses Auto an der erwähnten Stelle, also als
erste doppelseitige Anzeige in einem Blatt für die Jeunesse d’Oré Amerikas,
für eine Martialisierung, wenn nicht schon Militarisierung der Codes, über
die heute in den USA an Popmusik interessierte Jugendliche offenbar erreicht
werden können.
Die Verrohung, für die sowohl die Inhalte
wie die meisten Protagonisten speziell von HipHop seit Jahren stehen, hat einen
Golfkrieg-kompatiblen Grad erreicht. Ein kulturelles Lumpenproletariat mit dem
Wunsch, sich entweder wie Straßenhuren oder wie Crack-Dealer zu gerieren,
sucht und findet den Wagen zur Musik zum Krieg: Mit einem Chevy Colorado Sport
oder einem Hummer durch die Straßen von Bagdad brausen und mal so richtig
die Sau raus lassen, das wär’s doch? Natürlich nur für ein
verlängertes Wochenende, dann heißt es zurück auf die Schulbank
in den Brutstätten des Neokonservatismus. Zu grobschlächtig argumentiert?
"You
want cute? Buy a puppy."
Und nach der Mechanikersendung und nach der Garagensendung
läuft doch noch ein Musikvideo: "Soldier" von Bushs Wahlkampfhelferinnen
Destiny’s Child, Sound gewordener Hochverrat an allem, was einmal Pop war,
intellektueller Straßenstrich in black and white, auf dem sich die jungen
Frauen einen Kerl wünschen, der sie so richtig beschützen kann, einen
Soldaten des Gettos eben. Und sonst gar keinen. Wenn den "soldier" dann
einer abknallt – noch immer ist eine Kugel die Haupttodesursache für
junge Männer schwarzer Hautfarbe, die in den Innenstädten der Metropolen
Amerikas heranwachsen müssen – dann steht in Form von Kriegsheimkehrern
massenhaft Ersatz bereit für diese Kinder des Schicksals mit ihren schicken
Autos und den ewig jungen Körpern. Ja, es ist Krieg. Und wir alten Pop-Pazifisten
mit unseren reflexhaften Apologien für diese sozialen und kulturellen Verbrechen
wollen ihn nicht erkennen. Weil er so fesch daherkommt. Wie der Chevy Colorado
Sport.
|
|