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Es sollte wohl ein alter Stern neu erstrahlen, aber es wurde nicht
viel mehr daraus als ein schnell vorbei huschender Meteorit am Frühlingshimmel:
"Lessons Learned from Rocky I to Rocky III", die Comeback-Single
des britisch-bengalischen Duos Cornershop, das vor ein paar Jahren
mit dem "Brimful of Asha"-Remix durch Norman Cook bei
Publikum und Kritik des Status "Liebling der Saison" ergattern
konnte, um danach ins durchaus branchenübliche Nichts zu fallen
- Cornershop, so scheint es, werden ein One-Hit-Wonder bleiben.
Dabei hatte "Lessons Learned..." alle Zutaten aufzuweisen,
die einen möglichen Hit ausmachen: Schon nach dem krachigen
Riff, das in das Liedchen hinein führt, meint man einen alten
Bekannten wieder zu treffen; nach dem Refrain kann man fehlerfrei
mitträllern. Der Text bedient Nostalgiker und Freunde ironischer
Sottisen; die Luftgitarre hängt tief: Dazu ballert ein lustiges
Video Bilder von gigantomanischen 70er-Jahre-Open-Airs und dazwischen
geschnittenen Pool- und Champagner-Orgien der Cornershop-Protagonisten
via MTV und Viva ins Wohnzimmer, dass man kaum widerstehen kann,
sich eine lockige Matte bis zum Steiß wachsen zu lassen: perfekt,
oder?
Doch perfekt ist manchmal nicht gut
genug, und so bleibt weniger das Cornershop-Lebenszeichen im Gedächtnis
haften, sondern die Töne und Gesten, auf welche das Zeichen
verweist: auf "that overgrown supershit" (obwohl sich
diese Textstelle eigentlich auf bestimmte Heavy-Metal-Lächerlichkeiten
der Gegenwart bezieht) namens Hardrock, den Cornershop als Referenzpunkt
angeblicher Großartigkeit bemühen.
Die Geburtsstunde von Hardrock schlug
in den ausgehenden 60er Jahren: Die Moderne hatte gerade vehement
ihren Ausbruch aus dem Elfenbeinturm geprobt; politisch und ästhetisch
wurde in Europa und den USA auf breiter Ebene zu praktizieren versucht,
was schreibende, malende, musizierende Individuen seit Anbeginn
des 20. Jahrhunderts propagierten - der Einzelne suchte massenhaft
nach einer Form, die seinem Status als vernunftbegabtem Souverän
seines Lebens entsprach, das nicht mehr durch metaphysisch legitimierte
Determinanten, sondern durch kontraphobische, dialektische und schließlich
emanzipatorische Überlegungen und Handlungen zu definieren
und zu gestalten sein müsste. Dieser gesellschaftliche Innovationsschub
äußerte sich in Studentenprotesten, Bürgerrechtsbewegungen
und im Verlangen nach verstärkter politischer Teilhabe; er
äußerte sich in der sexuellen Revolution, in der heute
fast naiv anmutenden Hinwendung zu exotischen Deutungsversuchen
der Welt, in Drogenapologetik, in Pop Art und Popmusik. In diese
helle, klare, aufgeregt optimistische Gestimmtheit der bald "68er"
genannten Generation mit dem Dauerpachtvertrag in Sachen Wahrheitsfindung
mischte sich eben um dieses Jahr 1968 ein neuer Ton, nachtschwarz
und blutrot und vor allem sehr laut, ein Ton, der wieder genau auf
jene Angst verwies, von der man doch meinte, sie gerade abschütteln
zu können. Und diesen Ton nennen wir retrospektiv Hardrock.
London mochte swingen, aber Birmingham
nicht. Und auch nicht Nottingham oder Dublin. Gab man sich in der
Metropole lieber den bonbonbunten Nichtigkeiten des Tages hin oder
huldigte man einer vitalistischen Neu-Interpretation musikalischer
Grundlagenforschung, wie dies die Rolling Stones oder die am British
Blues Boom beteiligten Musiker wie Jeff Beck, John Mayall oder Eric
Clapton so erfolgreich taten, so schien an der Peripherie eher das
Verlangen zu herrschen, ebenfalls einen Schritt ins Licht zu tun
- und sei es das Licht brennender Scheiterhaufen. Wenn die Popmusik
jener Tage letztlich angetreten war, der Welt Friede, Freude und
Eierkuchen zu bringen, so nahmen Bands wie Black Sabbath, Ten Years
After, Deep Purple, Thin Lizzy, Status Quo, die frühen Slade
den gegenläufigen Weg und verstärkten auf grell-comic-hafte
Weise den Angsthintergrund, von dem sich der Pop-Mainstream gerade
abzulösen versuchte. Die Platten und Songs hießen "Paranoid"
und "Undead", "The Witch" oder "Mandrake
Root". Die Reaktionen waren eindeutig: Eltern, Lehrer und Pfarrer
verwiesen auf den drohenden Untergang des Abendlandes durch Drogen,
Satanismus und Taubheit; die sich "seriös" gerierende
Pop-Kritik entsetzte sich über die kommerzielle Durchschaubarkeit
der Musik, die billigen Schock- und Show-Effekte und die technischen
Unzulänglichkeiten der Protagonisten, bedrohte doch die Lachhaftigkeit
dieser Bands den so ersehnten Ritterschlag durch die etablierte
Musikkritik, welcher durch die klassizistischen Allüren von
Procol Harum oder Nice in greifbare Nähe gerückt schien.
Die Hardrock-Bands ließen sich
dadurch natürlich nicht beeindrucken und sonderten weiterhin
ihren Höllen-Lärm ab, während parallel dazu fleißig
genau das erprobt und nachgelesen wurde, wovor die vorauseilenden
Kritiker jener Musik nicht müde wurden zu warnen, also Satanismus,
Mystizismus, Drogen, Promiskuität und Parken im absoluten Halteverbot.
Die Musik wurde elaborierter und halbgebildeter, die Texte verloren
den kindliche Ungezogenheit. Aus Hardrock wurde Heavy Rock, wurde
Metal, wurde Heavy Metal, Death Metal, New Metal: Ein Ende der Diversifikation
ist nicht abzusehen. Aus präpotenten Angebern wurden dekadente
Stars, drogensüchtige Bonvivants, Alkoholleichen. Aus den flirrenden,
messerscharfen und gleichzeitig ungehobelten und fast naiv eindeutig
im Stereoraum platzierten Soli wurden quasi selbstparodierende Etüden
des Gitarren-Machismo. Aus den gern verwendeten Versatzstücken
der britischen Folklore mit ihrem keltisch-druidischen Hintergrundraunen
wurden wieder die international kommunizierbareren Floskeln des
Blues. Mit Glam und Punk standen schon die nächsten Neuerer
in den Kulissen des Popgeschehens. Um 1975 war es fast schon wieder
beschämend, wenn man anerkennend von Hardrock sprach: Das war
doch Kinderkram, das hat man doch hinter sich gelassen. Bis eine
eigentlich unbedeutende Single wie die von Cornershop plötzlich
madeleinehaft wieder die Lust weckt, das Riff von Thin Lizzys "The
Rocker" zu hören, die wilden Soli von Alvin Lee und Leo
Lyons im zweiten Teil von "Good Morning Little Schoolgirl",
die staubtrockene Gitarre von Tony Iommi, die Folk-Metal-Versuche
auf "Led Zeppelin III": Overgrown supershit. Aber unser
overgrown supershit.
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