|
Um bei dem Bild eines Gewebes zu
bleiben: kühl legt sich die Musik aufs Gesicht und Gemüt, umschmeichelt
einen, ja, aber nicht auf abgeschmackte Art, nicht anbiedernd, sondern
fremd und zugleich zuversichtlich; sie schwebt vor dem inneren Auge,
aber zeigt keine Bilder vor, keine Muster, Zeichen. Sie spricht
- pfingstlich - in Zungen. Der Klangraum, den die Musiker des Electro-Acoustic
Ensembles schaffen, kann auf jede physische Assoziation verzichten,
ist kein Club, kein Konzertsaal, nicht einmal ein Studio, schon
gar nicht naturalistisch zu verstehen. Kein Platz für ziehende Wolken,
wallende Nebel, majestätische Fjorde. Kein Raum für dunklen Tann.
Keine historische Verschmutzung der Klänge durch Ideologien etwa
oder staatliche Repräsentanzfunktion.
Und hier ist der Ansatzpunkt zu einer
veränderten, von Produzent und Musikern nicht beabsichtigten, vielleicht
sogar abgelehnten Rezeptionsweise: "Toward the Margins" kann auch
wunderbar als Oberfläche benutzt werden, als Ambient Music, die
sich eben nicht an die langweilige und konservative Doktrin hält,
der umgebende, nicht-störende Klang solle homogen, kaum wahrnehmbar,
dienend sein, sein Leben frei von Eigenleben. "Toward the Margins"
in seiner perfekten Losgelöstheit ermöglicht es eben dem Hörer,
seinen Lebens-Raum mit "eindringlicher, detaillierter Musik" anzufüllen,
die auch perfekt funktioniert auf einer subintellektuellen Ebene,
die sein Denken und Fühlen, das nicht auf die Musik gerichtet ist,
befeuert, statt es zu begleiten. Die ständigen und vielfältigen
Informationen, Anregungen, Widersprüche der Musik vermögen sublime
Arbeit als Katalysator einer anderen Sicht auf die Welt zu leisten
- gerade wenn sie nicht, wie intendiert, bewußt und ausschließlich
gehört wird.
Also gehört Evan Parkers neue CD "Toward
the Margins" in die Chill-Out-Räume der Techno-Clubs, in die Arbeitszimmer
von Architekten, in den Walkman der Rollerblader und volle Kanne
ins Auto. Musik: für meine Ohren.
Diese Umkehrung aller Absichten stellt
für die Musiker sicherlich ein größeres Problem dar als für den
Hörer, der freier ist in seiner Wahl der Rezeption, als die Produzenten
es bislang sind in der Wahl ihrer Intention. Dabei läge vielleicht
darin nach all den Jahrzehnten des Einzelgangs die größere Herausforderung,
das größere Wagnis für die Künstler: sich einem an elektronische
Klänge längst gewohnten Publikum in seinem alltäglichen Umfeld zu
stellen, die Herausforderung des Lebens anzunehmen. Man muß dazu
nicht gleich ins Drum & Bass-Lager wechseln wie Parkers Kollege
Derek Bailey, so faszinierend die Möglichkeiten dieser neuen Liaison
zwischen Pop und Improvisation aus sein mögen. Das heute Mögliche,
das mit "Toward the Margins" Vorliegende reicht eigentlich bei weitem
aus für diesen überfälligen Schritt. Er muß nur noch getan werden.
|
|