Musikmeldungen aktuellMusikstromKolumnenSoundcheckPopalphabetGastbeiträgeWeblinksKontaktinfo
Home
Musik für meine Ohren (Fortsetzung) Teil 1 : 2
 

     Um bei dem Bild eines Gewebes zu bleiben: kühl legt sich die Musik aufs Gesicht und Gemüt, umschmeichelt einen, ja, aber nicht auf abgeschmackte Art, nicht anbiedernd, sondern fremd und zugleich zuversichtlich; sie schwebt vor dem inneren Auge, aber zeigt keine Bilder vor, keine Muster, Zeichen. Sie spricht - pfingstlich - in Zungen. Der Klangraum, den die Musiker des Electro-Acoustic Ensembles schaffen, kann auf jede physische Assoziation verzichten, ist kein Club, kein Konzertsaal, nicht einmal ein Studio, schon gar nicht naturalistisch zu verstehen. Kein Platz für ziehende Wolken, wallende Nebel, majestätische Fjorde. Kein Raum für dunklen Tann. Keine historische Verschmutzung der Klänge durch Ideologien etwa oder staatliche Repräsentanzfunktion.
     Und hier ist der Ansatzpunkt zu einer veränderten, von Produzent und Musikern nicht beabsichtigten, vielleicht sogar abgelehnten Rezeptionsweise: "Toward the Margins" kann auch wunderbar als Oberfläche benutzt werden, als Ambient Music, die sich eben nicht an die langweilige und konservative Doktrin hält, der umgebende, nicht-störende Klang solle homogen, kaum wahrnehmbar, dienend sein, sein Leben frei von Eigenleben. "Toward the Margins" in seiner perfekten Losgelöstheit ermöglicht es eben dem Hörer, seinen Lebens-Raum mit "eindringlicher, detaillierter Musik" anzufüllen, die auch perfekt funktioniert auf einer subintellektuellen Ebene, die sein Denken und Fühlen, das nicht auf die Musik gerichtet ist, befeuert, statt es zu begleiten. Die ständigen und vielfältigen Informationen, Anregungen, Widersprüche der Musik vermögen sublime Arbeit als Katalysator einer anderen Sicht auf die Welt zu leisten - gerade wenn sie nicht, wie intendiert, bewußt und ausschließlich gehört wird.
     Also gehört Evan Parkers neue CD "Toward the Margins" in die Chill-Out-Räume der Techno-Clubs, in die Arbeitszimmer von Architekten, in den Walkman der Rollerblader und volle Kanne ins Auto. Musik: für meine Ohren.
     Diese Umkehrung aller Absichten stellt für die Musiker sicherlich ein größeres Problem dar als für den Hörer, der freier ist in seiner Wahl der Rezeption, als die Produzenten es bislang sind in der Wahl ihrer Intention. Dabei läge vielleicht darin nach all den Jahrzehnten des Einzelgangs die größere Herausforderung, das größere Wagnis für die Künstler: sich einem an elektronische Klänge längst gewohnten Publikum in seinem alltäglichen Umfeld zu stellen, die Herausforderung des Lebens anzunehmen. Man muß dazu nicht gleich ins Drum & Bass-Lager wechseln wie Parkers Kollege Derek Bailey, so faszinierend die Möglichkeiten dieser neuen Liaison zwischen Pop und Improvisation aus sein mögen. Das heute Mögliche, das mit "Toward the Margins" Vorliegende reicht eigentlich bei weitem aus für diesen überfälligen Schritt. Er muß nur noch getan werden.

 

 

Musikmeldungen aktuell | Musikstrom | Kolumnen | Soundcheck | Popalphabet | Gastbeiträge | Weblinks | Kontakt