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Klampfenalarm  
Die Zukunft des Rock’n’Roll ist jetzt  
 

In Deutschland ist die CD gar nicht erst veröffentlicht worden: Wer die Love Parade erfunden hat und Viva für einen Musiksender hält, der hat keine Verwendung für die Zukunft des Rock’n’Roll. Felix Britannia, du hast es besser. Dir hat dieser Sommer in schönster Loch-Ness-hafter Regelmäßigkeit ein neues Monster geboren, das für die Zukunft vierviertelgetakteten Gitarrenlärms stehen soll: "Sonic Mook Experiment 2: Future Rock & Roll". Sonic Mook, wenn ich es recht verstanden habe, ist der Name eines Clubs in London, Experiment 2 deutet auf eine Vorgänger-CD hin und klingt außerdem cool. Und die "Future of Rock & Roll" wurde wohl schon jedermann von Bruce Springsteen und Patti Smith bis hin zu den Strokes genannt, der weiß, wie man zwei bis drei Gitarren-Akkorde greift und wo der Refrain in einem Song hingehört. Nicht dass es in den letzten Jahren, Jahrzehnten gar, wirklich image- oder verkaufsfördernd für einen Pop-Künstler gewesen wäre, mit dem nun bald fünfzig Jahre alten Genre Rock’n’Roll in Verbindung gebracht zu werden: Da galt man doch besser als Pop-Irgendwas, als House-Dingsbumms, als Techno-Something, als Garage-Artist, als Hip-Hop-Gangsta, als Dub-Pilot, als jemand jedenfalls, der mit Elektronik hantiert und mit Software und mit Samples und der dazu Ecstasy-Pillen schlucken muss – aber bitte keine Gitarren. Und Texte lieber auch nicht, danke. Und als im Lauf des vergangenen Jahres die New Yorker Powerpop-Bubis The Strokes und das mit rudimentären Blues-Kenntnissen vorbelastete Duo The White Stripes von Teilen der englischen Musikpresse in den Rang von Superstars hochgejazzt werden sollten, mochte man das zwar mit Sympathie verfolgen: allein, es fehlte der Glaube an eine sinnfällige Wiederauferstehung von Rock’n’Roll oder Punk, was im Lauf der Zeit fast gleichbedeutend geworden ist. Und dann doch: in Berlin kocht und brodelt es um den Schlampenrock von Peaches, in Detroit tropft bei Gigs der Von Bondies, der Detroit Cobras oder der Dirtbombs das Kondenswasser von der Decke, New York spuckt The Liars aus und Los Angeles The Bell Rays und selbst in Schweden bewaffnet man sich mit Gitarren und schickt Bands wie The Hives ins schweißtreibende Getümmel, während inzwischen jeder Elektronik-Titel, der auf sich hält, ein fesches Gitarrensample braucht oder sich auf dem Cover einer Platte des Compost-Labels, eigentlich ein Synonym für NuJazz, der Künstler mit Klampfe im Anschlag ablichten lässt. Und deutscher Punk ist in Düsseldorf im Museum zu besichtigen.
     Was die genannten Bands verbindet, ist dabei eher eine Attitüde als ein klar definierter musikalischer Stil: Es ist eine rotzige, selbstbewusste, nach keinem Handwerk und keiner Meisterschaft fragende Do-it-yourself-Ideologie, die man braucht, um die Ekstasen technoider Clubnächte wieder rückübersetzen zu können aus deren anonymer Funktionalität in realere Zusammenhänge von Mensch und Maschine, von Wahrnehmbarkeit eines Tuns und der damit verbundenen physischen Attraktivität, von Laut und Luise.
     Nicht dass dieses Zurückschwingen des Modependels wirklich überraschend käme: Es war erwartet worden, selbst von der Plattenindustrie, und mit dem Black Rebel Motorcycle Club oder den Strokes standen die Vorlagen für den Bravo-Starschnitt 2003 bereits parat, smarte Jungs, schicke Melodien, Leder, Jeans und gute Anwälte. Was überrascht, ist die Dringlichkeit und Unmittelbarkeit, mit der dieser punkgehärtete Rock’n’Roll jetzt zurück kommt und die vorbereiteten Revival-Blaupausen zumindest für den Musikliebhaber zur erfreulichen Makulatur werden lässt. Wie ein Stuntman durch eine Fensterscheibe, wie das Blues-Mobil über eine Ziehbrücke, wie der Heilige Geist durch verschlossene Türen, so platzt, fliegt, dringt dieser neue alte Sound aus den Boxen, laut, aufdringlich, peinlich und endlich da. Man soll sich plötzlich Namen merken wie The Eighties Matchbox B-Line Disaster oder Überwensch (sic), darf sich wieder über stupid-klischeehafte Titel freuen wie "Primitive" oder "Bang", trifft alte Bekannte wieder wie Billy Childish und neue Figuren, die sich noch unbekümmert The Drug Punks oder The Parkinsons nennen können, bruhaha, und im Zwei-Minuten-Takt purzeln Rock’n’Roll, Glam, Grunge, Ramones-Punk oder billigste Elektronik-Pfurze über den Tanzboden: Nimm, was Du kriegen kannst und "Smash it with a brick!"
     Die Unmittelbarkeit dieser Rock’n’Roll-Attacke ist am besten dokumentiert auf der eingangs erwähnten Compilation "Future Rock & Roll": am liebsten würde man hinter den Schreibtisch springen und in Deckung gehen, so schnell und rüde werden da die 25 Songs abgefeuert. Und alle ins Schwarze. Und alle ins Herz. Nur eins stimmt so nicht: Hier hören wir keinesfalls die Zukunft des Rock’n’Roll. Die Zukunft auch dieses Rock’n’Roll wird stromlinienförmig sein und nicht wie ein explodierter Kühlschrank aussehen. Sie wird auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner gebracht werden, Erfolg haben, dann dupliziert, kopiert, frisiert werden bis nichts mehr übrig ist als Langeweile und Formelhaftigkeit und 250 Verträge mit Bands, die sich längst aufgelöst haben. Das ist die Zukunft des Rock’n’Roll. Denn so funktioniert das Geschäft mit der Musik. Und meist wird Musik nur gemacht, damit sie ein Geschäft wird. Aber es gibt eben die seltenen Momente, wo dies noch nicht so ist, wo die Musik nur dem Moment gehört, und so ein Moment ist gerade wieder. Pat Long hat es im New Musical Express so formuliert: "This album is so now it hurts." Die Platte sei so jetzt, dass es weh tut. Und das war seit eh das Kennzeichen großartiger Popmusik.

Verschiedene Interpreten  
Sonic Mook Experiment 2: Future Rock & Roll (Blast First/Mute BFFP 176 CD)

 

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