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Ein alter Hut mit sechs Saiten (Fortsetzung) Teil 1 : 2
 

     Dies alles hängt mit dem Hype des Jahres zusammen, der grob "Punkrock aus den USA" heißt und alle Journalisten auf den Plan gerufen hat, die ein Abo des New Musical Express besitzen, House-Techno-Hip-Hop schon immer gehasst haben und es nur nie einzugestehen wagten. Kristallisationskern der Aufgeregtheit sind The Strokes aus New York, deren Album-Debüt "Is This It" Ende August erschien und selbst die Hamburger Trendgazette Der Spiegel schnattern ließ, hier habe man es mit einer Platte zu tun "vergleichbar mit Nirvanas 'Nevermind', mit 'Surfer Rosa' von den Pixies, mit 'Marquee Moon' von Television oder 'White Light/White Heat' von Velvet Underground". Nicht dass, wenn ich mich recht erinnere, der Spiegel über eine der genannten Platten bei ihrem Erscheinen ein Wort verloren hätte - aber diesmal will keiner zu spät kommen: Hier geht es um das, was man seit der Drucklegung von Stadtzeitschriften fälschlicherweise "Kult" nennt. Natürlich formiert sich auch schon eine rock-kritische Gegenreaktion: The Strokes seien nur reicher Leute Kinder, die sich von Daddys Unternehmensberatern eine Karriere nach Maß haben schneidern lassen. Und wenn, was wäre schlecht daran, was ist gegen einen guten Plan einzuwenden? Was zählt, ist auf dem Platz und im Falle Pop jedermann zugänglich; das Runde muss ins Eckige, die CD also in den Player: Die begeisterten wie die muffligen Experten haben alle recht - man hört kurze, durch etwas Geräuscheinsatz und Verfremdung der Gesangsstimme von Julian Casablancas auf modern gestylte Songs, die auf weiland Punkrock genannten Platten von Television oder Blondie nicht unangenehm aufgefallen wären; vielleicht hätte man sie als etwas zu poppig empfunden, zu sehr in der Nähe von Endsiebziger-Hitparaden-Eintagsfliegen à la The Knack oder The Cars: Power-Pop schimpfte sich das damals. Aber im Vergleich liegt schon die Ungerechtigkeit verborgen: Offensichtlich gibt es in den USA - wie in Großbritannien jene Bands, denen leise das neue laut sein soll -, die sich im Windschatten der großen Popströmungen House/Dance/Techno/Hip-Hop ein gewisses Ausdrucksvokabular erarbeitet haben, das uns Ältere an Rock und Punk erinnern mag, aber eben doch mehr ist: genuine Äußerung eines bestimmten Teils einer Generation der im Gleichzeitigen Aufgewachsenen - Metarock, Metapunk für mich, originäre Leistung für sie selbst.
     Und diese wird deutlicher, wenn man ein Exemplar des Debüts der Moldy Peaches ergattert; ein Duo, schon wieder, aus New York diesmal, gern im Hasenkostüm, wie man liest und der Fallen der Vergangenheit sehr gewärtig: The Moldy Peaches kritzeln eine Art Formular auf die Rückseite ihrer LP, die sich folgendermaßen übersetzt: "Die Moldy Peaches sind (Adjektiv). Sie klingen wie (Substantiv). Wenn ich sie höre, würde ich am liebsten (Verb). Schade, dass sie nur (Gruppenname) nachahmen." Also denn: "Die Moldy Peaches sind verwirrend und befremdlich. Sie klingen wie ernsthafte Spaßvögel. Wenn ich sie höre, würde ich am liebsten selbst eine Band gründen. Schade, dass sie nur Lo-fi-Bands wie Sentridoh oder Punks wie Mykel Board nachahmen." Zwei Menschen aus New York und ihr Hasenkostüm: Sie geben uns alles, was sie haben. Und versprechen noch ein wenig mehr. Man sollte sie nicht im Hype eines einzigen Sommers verheizen.
     Wenn wir Popfans und Musikliebhaber Bands wie The Strokes, Moldy Peaches, The White Stripes oder Dirtbombs hören mit der Unvoreingenommenheit, mit der ein 19-Jähriger sie zu hören in der Lage sein dürfte, dann wird sich auch ihr Reiz erschließen, der in nur kleinen Abweichungen und Regelverstößen besteht - mikroskopisch, aber trotzdem real. Und Größe sagt über die Wirkung noch nichts aus. Punkrock? Nein. Wohl nicht, gottseidank. Rock? Ja. Seltsamerweise.

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The Strokes  
IS THIS IT (RCA/BMG)
   
The Moldy Peaches  
THE MOLDY PEACHES (Rough Trade RTRADECDO 14)
   
The White Stripes  
WHITE BLOOD CELLS (Sympathy for the Record Industry)
   
The Dirtbombs  
ULTRAGLIDE IN BLACK (In the Red ITR 079)

 

 

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