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...ist ein arger Wüterich (Fortsetzung) Teil 1 : 2
 

     Ein Vorschlag zur Güte: Könnte es sein, daß sich irgendwann einmal in den letzten Jahren ein kluger und scharfer Analytiker der Pop- und sonstigen Welt, nennen wir ihn Diedrich Diederichsen, auf das allerhänselundgretelhafteste im Wald verlief, daß er hinten und vorn, oben und unten, und vor allem lechts und rinks nicht mehr verstand. Daß er das aber nicht zugeben kann, weil sonst vielleicht alle sehen möchten, daß er auf Tagungen und Symposien des Kaisers neue Kleider trägt und über die Pobacken "Mein Name sei Egon Krenz" tätowiert ist. Könnte es nicht sein, daß einem gewohnheitsmäßigen Überallzugleichtäter plötzlich die Muffe zu sausen beginnt ob der Komplexität oder Banalität oder Rigidität der Ereignisse um ihn herum, und daß aus purem Selbsterhaltungstrieb eine Auseinandersetzung über Musik und Politik und Pop und das Leben von Stund an mit einer gedrechselten Zungenfertigkeit geführt werden muß, da einzig diese Flucht in die überkandidelte Argumentation auf Jahre hinaus vertuschen kann, daß dem Sprechenden nichts mehr einfällt außer: "Ich kann meine Wörter nicht mehr halten" ? Gepaart mit dieser manischen Konstruktion eines neuen Überbaus geht die religionsstiftende Qualität des postphilosophischen Geplappers einher, denn lesen kann jeder, und tönen tut es fesch. So tapern die sieben Zwerge ihrem Maximo Lìder nach, gar nicht willens oder in der Lage zu sehen, hören oder lesen, was ihnen Diederichsen da so mit auf den Weg gibt: die ständige Verunglimpfung etwa der Afroamerikaner als "Opfer", vereint mit dem als linkester Linker gepachteten Recht, allen Opfern seine Hilfe (naturgemäß nur analytischer Natur) aufdrängen zu dürfen. Oder die verheerende Diskreditierung des Freiheitsbegriffs im Titel und einigen Teilen seines Buches "Freiheit macht arm", dem bald ein Essay folgen soll, der diese Kapitulation vor der eigenen Geschichtlichkeit auch noch erläutern will. "Freiheit macht arm", so herrlich plakativ das tönt, ist 1993 mit ultrarechten Parolen in Sachen "frei" gleichzusetzen, in seiner planen Denkwelt, in seiner Menschen- und Geschichtsverachtung, in seinem schwindenden Respekt vor ganz realen Toten und Getöteten, die stündlich für die "Freiheit" und die vielen kleinen Freiheiten, aus denen sie sich zusammensetzt, ihr Leben lassen, seit Anbeginn der Geschichte - nur um jetzt von einem gescheiterten Intellektuellen erklärt zu bekommen, daß das mit der Freiheit wohl eher doch ein Irrtum war. Und denkt man diese Diederichsen'schen Formulierungen zur Freiheit zu Ende, drängt sich tatsächlich ein Freiheitsbegriff der extremen Rechten auf: daß die Freiheit und die Freiheiten des einzelnen an Einen, an den leader of the pack, den Führer delegiert werden können, weil der am besten weiß, was damit anzufangen ist. Und wie der in unserem Fall heißt, ist ja wohl klar. Schon seltsam: wie das Erstarken der extremen Rechten genutzt wird, die eigenen Macht in Wolkenkuckucksheim auszubauen. Bloß nicht echauffieren, böse Schwiegermutter, ich.
     Es beginnt der Spätfilm: Die "Körperfresser" in der Fassung von Abel Ferrara. In allen Rollen: Diedrich Diederichsen. Der wirkliche Diederichsen verschwindet, wird ausgetauscht gegen ein Gespinst, das genauso aussieht, ähnlich daherredet und wie das Original seit jeher zum Lachen in den Keller geht. Doch sagt heute einer ein Wort, das ihn als Menschen entlarvt, als Fragenden, als teilnehmenden Beobachter, als einen, der nicht andauernd Bescheid wissen kann und will, dann stößt das Diederichsen einen schrillen Schrei aus und deutet mit ausgestrecktem Arm auf ihn und gibt ihn zum Abschuß frei - ob alter Feind oder alter Freund, alle müssen gleich werden in der neuen Weltordnung, die dem alten Spiel vom Pop-Stalinisten Diedrich Diederichsen einen neuen Beigeschmack verleiht, einen stählernen, bitteren Beigeschmack. Gottseidank scheinen die Guillotinen im Lande Pop nur in Deutschland errichtet zu werden, das seine Jakobinerlein immer zur falschen Zeit auf die desinteressierte Menschheit losläßt. Gönnen wir Diedrich Diederichsen sein kommendes Dasein als Schwarzkopf-Krenz-Jens der hiesigen Links-Schickeria, so richtig doll im Untergrund und bei konspirativen Treffen, aber nehmen wir ihn, unter uns Körperfresser-Opfern, nicht mehr ernst, wenn wir ihn abends dann am kalten Buffett wiedersehen. Denn nur wo Chiquita draufsteht, ist auch Chiquita drin. So einfach ist das. So Pop. Ein guter Song, der die einfachen Lösungen nicht der Rechten überläßt - und auch nicht dieser neuen Klasse von Weltverbesserern, in deren Welt keiner leben möchte, der noch alle Schallplatten im Regal hat.

 

 

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