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Wenn wir ein riesenhaftes Deckenfresko malen sollten, mit allen
Protagonisten, die jemals im Pop-Alphabet vorgekommen sind, dann
erschiene die Frau, um die es heute geht, weit hinten links, im
selbstgewählten Abseits, auf einer Couch liegend, sich selbst spielend
und mit sich selbst spielend. Etwas weiter im Vordergrund würde
Brian Eno Mick Ronson ins Ohr flüstern, daß dort Annette Peacock
liege, die Outness Queen...
Annette Peacock wurde 1941 in Brooklyn
geboren. Zwanzig Jahre später betrat sie die Downwtown Szene Manhattans
wie eine Nico, wie eine Edie Sedgwick, wie eine Joni Mitchell: alle
Lichter auf sie gerichtet, junges Traumgirl zwischen geschäftigen
und ernsten jungen Männern, Albert Ayler, LeRoi Jones, Allen Ginsberg,
Charles Mingus und Timothy Leary, die von psychedelischen Drogen
zu ihr sprachen, von Weltrevolution und Black Power, von freiem
Jazz. Sie ging mit Aylers Band auf Europatournee und engagierte
sich schließlich beim gerade gegründeten Jazz Composers Orchestra.
Bereits in diesen frühen öffentlichen Jahren zeigt sich ein wichtiger
Charakterzug Annette Peacocks: Immer und jederzeit das Unerwartete
zu tun, das vermeintlich Falsche. Als Leary ihr LSD reichte, wendete
sie sich von den Drogen ab und wurde Makrobiotin. Als United Artists
sie als Schauspielerin nach Hollywood holen wollte, reiste sie in
der Nacht vor der Vertragsunterzeichnung ab, um Gary Peacock zu
heiraten, Albert Aylers Bassisten. Als Gary Peacock bei Miles Davis
einstieg, riet sie ihm zu Ornette Coleman und Don Cherry. Als Robert
Moog ihr einen seiner Synthesizer überließ, damit sie mit dem reinen
Studioungetüm experimentieren könnte, trat sie live mit diesem Monster
auf. Am wichtigsten aber war die Musik, die Annette Peacock komponierte,
Balladen meist, verwirrende Dinger mit elend schwierigen Leerstellen
für Schlagzeuger, die vor allem der Pianist Paul Bley immer und
immer wieder aufnahm und jahrelang fast ausschließlich spielte.
Annette Peacock folgte an Paul Bleys Seite Carla Bley nach, erwies
sich aber als ebenso stark und eigenwillig wie diese, überredete
Paul Bley zu einer der ersten elektronischen Jazzbands, an der auch
Robert Wyatt beteiligt war. Wir schreiben immer noch erst das Jahr
1970 und Paul Bley veröffentlicht zusammen mit Gary Peacock eine
Platte auf einem kleinen Münchner Independent namens ECM mit Annettes
Kompositionen, die so stilprägend für ECM waren, daß die Firma sie
noch 1997 als Leitmotiv für ihre Tätigkeit anerkennt. Annette selber
gerierte sich allerdings zunehmend wilder als die ECM'sche Zuneigung
vermuten läßt, veröffentlichte drei inzwischen gesuchte LPs mit
Synthesizerlärm und Stimme und trat oben ohne auf - sogar in der
Johnny Carson Show, ein Hinweis, wie wichtig Sex, Selbstbefriedigung
und selbstbestimmte Wollust in den kommenden Jahren für Annette
Peacock noch sein würden...
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I HAVE NO FEELINGS
SUCCUBUS
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