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Mein ganz persönliches Y2K-Problem hat sich von selbst gelöst:
Die Doppelnull kam, und das Problem verschwand. Es bestand eigentlich
nur aus einer so simplen wie penetrant gestellten Frage: "Wie schaut
die Zukunft der Popmusik aus?" "Na, ziemlich gut." "Ah ja, vielen
Dank auch." Nur hat sich niemand mit diesem "ziemlich gut" zufrieden
gegeben; alle wollten Details und Gründe und kluge Fremdwörter hören
und was ein Popjournalist sonst so von sich gibt, wenn er nicht
gerade die penetranteste und dümmste aller Fragen beantworten muss:
"Was soll ich mir für a Platt'n kaufen?" Wahlweise: "Was hörst du
den gerade so?"
Die Antwort ist seit ein paar Jahrzehnten
die selbe (nur gebe ich sie nie): "The Complete Recordings von Robert
Johnson." Danach könnte man weiter reden. So gesehen war die Frage
nach der Zukunft der Popmusik eine willkommene Abwechslung, wäre
da nicht mein leiser Verdacht gewesen, es ginge den Fragenden eher
darum, dass die Nullen und Einsen von ihren pfleglich behandelten
CDs herunterpurzeln könnten im allgemeinen Computerchaos und nicht
um so essentielle und letzte Dinge wie die Krise des Songs, das
Ende der "Big Beats" oder wer Bassist wird bei Oasis.
Nun, die Nullen und Einsen sind immer
noch drauf auf meiner Robert-Johnson-CD und ich fürchte, auch auf
allen anderen CDs, die Mühselige und Beladene über dem Feuilleton
der Süddeutschen Zeitung ausgießen, als gäbe es ein geheimes Berber-Zeichen
an der Tür, dass hier Tag und Nacht die Hervorbringungen deutscher
Akustikgitarristen rezensiert würden.
Die Zukunft der Popmusik? Nachdem
es klar zu sein scheint, dass mit dem niemals für möglich erachteten
Eintreten des Jahres 2000 - ich schäme mich immer noch, diese Zahl
hinzuschreiben, habe das Gefühl, mich bei einer klischeehaften Handlung
zu ertappen wie weiland bei 1984 - nichts mehr eine Zukunft im utopischen
Sinne hat (für uns Wessis wenigstens), sondern nur eine numerisch
durchstrukturierte Gegenwart, kann man sich vielleicht tatsächlich
mit dieser Frage beschäftigen. Zuerst der rein quantitative Ansatz:
Ein Blick in die Hitparaden verrät, dass Santana, Tina Turner und
Joe Cocker derzeit unangenehm viele CDs verkaufen, wenn nicht gerade
alle ihre nächste "Kuschelrock-CD" haben wollen. Nur war das 1985
nicht anders, als es definitiv eine Zukunft der Popmusik gegeben
hat, wie wir jetzt wissen: Techno, Acid, House, Drum'n'Bass, BritPop,
Hip-Hop... Die Charts sind zu vergleichen mit dem Wetterbericht
und den Staumeldungen im Verkehrsfunk: Wenn man dort was hört, ist
es entweder vorbei, falsch oder unausweichlich. Und die Hitlisten-Präsenz
von greisen Cubanern oder einem Keith Jarrett bedeutet bloß, dass
die Jugend nicht mehr die Quantität und den Willen hat, sich wie
durch Geisterhand zu einer dominierenden Geschmacksäußerung zusammen
zu tun, sondern die demographische Entwicklung (nicht: Zukunft)
unserer Gesellschaft halt ein frühes, aber deutliches Echo in der
Tonträgerabteilung des Drogeriemarktes Müller findet: Die 50-Jährigen
geben den Ton an, nicht zuletzt, weil ihre Kinder und Enkel Freude
daran gefunden haben, ihre Musikbegeisterung in marginalen Gruppen
zu organisieren: Kaum zeichnet sich eine neue Entwicklung ab, spaltet
sie sich sofort in zahlreiche Untergruppen auf, Sub-Märkte, Binnenkulturen,
Nischenexistenzen, Kleinstkapitalismus. Oder man sackt einfach die
Plattensammlung der Eltern ein, dann wird ein Midi-Programm installiert
und aus dem, was war, wird etwas konstruiert, was ist: elektronische
Klänge, die sich aus der Popmusik von gestern speisen wie Rehe im
bayerischen Wintervon den Rinden der Bäume: Popmusik als Wildverbiss,
wahlloser Raubbau, unübersehbarer Schaden, Lawinen, aber auch der
Beginn von etwas völlig Neuem. Die Generation der Wahl- und Maßlosen
findet gerade erst zu sich.
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