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Wir basteln uns eine Generation Teil 1 : 2
Wynton Marsalis, Lo-Fi und die Mittdreißiger  
 

Dies ist eine Geschichte über die Dummheit, Schönheit und die Generation W. Sie beginnt am Neujahrsmorgen in einer Münchener Küche und ich fürchte, sie wird etwas verkatert gegen Ende ausfransen. Bin ich mir ziemlich sicher. Sie beginnt mit Wynton Marsalis und seiner furiosen Suite "Some Present Moments of the Future". Erst ein Teil aus Schlüssen komponiert, dann die Anrufung Buddy Boldens, dann, dann, dann: so wird das neue Jahr angeblasen von einem kleinen, oft genug fiesen Honigkuchenpferd. Einem Trompeter, der sich und seiner Claque glaubt, wenn auf die Frage nach dem bedeutendsten Musiker dieses Jahrhunderts nur eine Antwort erlaubt ist: Wynton Marsalis. Wie kann ein Mensch einer solchen Hybris erliegen - und neben all dem eitel Kunsthandwerk doch so wunderbare Musik erschaffen?
     Marsalis war die Erfolgsstory der achtziger Jahre. Ein slicker Neo-Traditionalist, der seine Lehrjahre bereits zu Herrenjahren hochzupitchen wußte. Doch jetzt schreiben wir 1995; das immer noch neu geglaubte Jahrzehnt besteht auf seiner Mitte, bevor sich alles zuspitzt zur Jahrzehnten-, Jahrhundert-, Jahrtausendwende. Ebenfalls mittendrin wir, die Mittdreißiger wie Wynton Marsalis, ebenso arrogant, hochmütig, eitel, neoirgendwas und Weltklasse. Punkrocker. Jazztrompeter. Punkrocker. Pop. Die Generation vor der Generation X, also Generation W, Diebe in der Nacht, Hochstapler, die Cincinnati Kids, von den einen übersehen, weil sie nur bis 68 zählen können. Von den anderen unterschätzt, weil sie dem Dogma der ewigen Jugendlichkeit anhängen. Wie Marsalis verachteten wir die Lehrjahre, waren Genies von eigenen Gnaden und Helden für einen Tag. Der lineare Gang der Dinge schien uns zu lahm; so zersplitterten wir die Welt der Bilder und Töne, um sie besser beschleunigen und rekombinieren zu können. Punkrocker. Jazztrompeter. Punkrocker. Pop. Was gestern noch in Fanzines und auf obskuren Plattencovern wucherte, zierte morgen schon fein zugeschnitten das Gesicht der Hochglanzmagazine, Fernsehsendungen und die Schaufenster der Nobelboutiquen. Die Überführung der Welt in die Zeichen: heute heißt dies vulgär Cyberbindestrichirgendwas. So wie bei den Drogen während der Phase ihrer Demokratisierung die Einsicht verloren ging, daß ein weltenweiter Unterschied ist zwischen Drogengebrauch und Drogenkonsum, so ist auch das Spiel mit den Zeichen vollends außer Kontrolle geraten: Wir torkeln durch eine Ära des Zeichenmißbrauchs. Und dies ist nicht zuletzt die Schuld dieser Generation W, W wie Wir Mittdreißiger, die wir zwar Pandoras berühmte Büchse geöffnet haben, aber sie dann achtlos, wie ein beliebiges Spielzeug, gedankenloseren, dümmeren, verbrecherischeren Händen überlassen haben, weil wir uns neuen Spielen zuwandten. Daß auch Zeichen zu töten verstehen, wird uns erst langsam - wieder - bewußt.

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