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"Tanz den Mussolini. Tanz den Adolf Hitler. Bewege deinen Hintern.
Und tanz den Jesus Christus", haben wir DAF brummen hören zu stumpfen,
trockenen Beats. DAF waren Gabi Delgado-Lopez und Robert Görl, ihr
"Mussolini" eines der zentralen Stücke der Neuen Deutschen Welle.
Das Protestraunen der Besorgnishaber und Bedenkenträger erstickte
im Gelächter der Tänzer, Abhänger, der Szene eben. Zu supersonnenklar
war die Rekontextualisierung alter, leerer, von der Geschichte weggeworfener
Suppendosensorten zu einem neuen, aggressiven und politisch korrekten
Spiel, dessen Regeln niemandem erklärt werden mußten im Lande Pop.
Bewege deinen Hintern - und der Kopf wird folgen, texteten wenig
später FSK. Schließlich war klug sein Ehrensache. Das war 1981 oder
1983. Das war vor tausend Jahren. Denn inzwischen habe ich Schirinovsky
in der Disco gesehen. Und er hat gelacht.
Er hat nicht nur gelacht; der Anführer
russischer Nationalisten grimassierte so selbstzufrieden und vergnügt
in die Kamera, als er die Arme um ein paar Jungs legte, mit denen
er auf der Tanzfläche zu Technoklängen abhottete, wie man es von
jenen Genrebildern vergangener Jahrhunderte kennt, auf denen der
Leibhaftige mit boshafter Fratze vom Triumph seiner seelenfängerischen
Bemühungen kündet. Zwei Welten berühren sich, verschmelzen. Widersprüche
lösen sich auf. Und Pop erlebt den Sündenfall.
Was hier so beiläufig während einer
Nachrichtensendung ins Wohnzimmer kommt, ist längst kein Einzelfall
mehr. Diedrich Diederichsen ist es 1992 anläßlich des brennenden
Vietnamesenwohnheims in Rostock als erstem aufgefallen, daß im hetzenden
und Brandsätze werfenden Mob Jugendliche mit Malcolm X-Käppis mitmischten:
die richtigen Zeichen auf der falschen Seite. Aufhebung der Schwerkraftgesetze.
Katastrophe. Semiotischer Weltuntergang.
Oder: Wo liegt das Problem, Alter?
Das Problem liegt im tiefsten, meist unausgesprochenen, fast axiomatisch
vorausgesetzten Selbstverständnis von Pop, daß die Musik und die
sie umgebenden, ihr untergeordneten oder assistierenden Künste -
bei allen Ausreißerwerten und seltsamen Einzelpersonen und -Erscheinungen
- im Grunde dem Recht des Einzelnen dienen, sich im Widerspruch
zum allgemeingültigen Wertekanon einer Gesellschaft zu befinden.
Darauf vertrauend ließ sich immer gut feststellen, daß Pop im genau
richtigen Maß neue Quellen der Dissidenz zuwuchsen, wie die bereits
existierenden und sich langsam in den gesamtgesellschaftlichen Wertekanon
einbezogenen Formen Ermüdungserscheinungen in Sachen Widerstand
aufwiesen.
Dies gilt auch heute noch: Für jede
Volkswagen-Tournee der emeritierten Rebellen Rolling Stones wachsen
Dutzende von Gruppen nach, die Doo Rag heißen, Smog oder Palace,
DQE oder Blumfeld, die von der saturierten Ruhe im Zentrum noch
nichts wissen wollen und ihren Lärm in den Dienst des Chaos stellen,
das an der Peripherie jedes lebenden Systems herrscht.
So könnte man beruhigt zur Tagesordnung
übergehen, den anscheinend zyklischen Prozessen des Popbetriebs
vertrauend, wären da nicht zwei Entwicklungen, die Pop in seiner
Gesamterscheinung in höchstem Maß bedrohen, ohne daß sie in der
Diskussion um Pop/Politik/Gender/Macht so richtig wahrgenommen werden
(dürfen). "Bedrohen" ist eigentlich bereits zu schwach: Beide Entwicklungen,
die eine hier nur kurz, die zweite noch ausführlicher zu benennen,
haben mittelfristig irreversible Fakten geschaffen, deren Beweinen,
Bejammern, Beklagen nichts mehr ändert. Das Wort ist ausgesprochen,
die Monster in der Welt. Aber mit Fingern kann man auf sie zeigen.
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