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Kurz und zuerst: Der Trend zur Verknüpfung
von Popmusik und national(istisch)er Identität oder fundamentalistischer
Religiosität, wie er in Rußland und vielen ehemaligen Ostblockländern,
in Indonesien und Westafrika - und schließlich auch in Deutschland
oder Großbritannien zu beobachten ist: nur halbironisch gemeinte
"Buy British"-Aufkleber, herrlich tanzbare Oden an korrupte Staatsmänner,
zaristischer Hardrock. Die vermeintliche angloamerikanische Hegemonie
im Popbereich, die immer viel stärker ein Signum gleichzeitigen
Andersseins war als Kulturimperialismus, verschwindet zugunsten
"popidentischer" Musikformen mit anti-internationalen Inhaltsstoffen
und rein regionaler Bedeutsamkeit. Das Fremde macht nicht mehr neugierig,
sondern skeptisch: Ein Teenager erklärt mir, er sehe lieber Viva
als MTV, weil man da die Sprache versteht. Ebenso harmlos, diese
Aussage, wie verheerend.
Zweitens: Techno. Bei unscharfer Betrachtung
ist Techno die neueste und vitalste Ausformung von Pop. Verläßt
man sich nicht auf diese lineare Betrachtungsweise, so erkennt man
unschwer, daß sich Techno nur noch auf eine Determinante von Pop
verläßt, die pophistorisch gesehen ständig an Aussagekraft einbüßt:
die Jugendlichkeit. Pop als eine seit fast vier Jahrzehnten bestimmende
Kraft gesellschaftlicher, ästhetischer und schließlich auch politischer
Tendenzen konnte seine Relevanz nur deshalb stets behalten, weil
die Gegenwart immer in aggressiver Beziehung zu vorausgegangenen
Ausformungen stand: so entwickelte sich eine intelligente Weltsicht
des Hier und Jetzt, die gleichzeitig auf unterschiedlich komplexen
Ebenen erfahrbar war - als Mode, als Tanzmusik, als gesellschaftskritischer
Kommentar, als Ausdrucksmöglichkeit für marginalisierte gesellschaftliche
Gruppen, als Korrespondenzmedium zu Literatur und Bildender Kunst,
kurz: als spielerischste wie realistischste Ausdrucksform des ausgehenden
20. Jahrhunderts.
Techno nun verläßt die "popistische
Internationale", spaltet sich ab, vielleicht auch deswegen, weil
seine Protagonisten für die erste Generation stehen, deren biologisches
Leben nicht parallel zur historischen Entwicklung von Pop ablief,
sondern nur noch die Gleichzeitigkeit kennt - eine Gleichzeitigkeit,
die auch im Produktionsmittel der Technomusik schlechthin ihre Entsprechung
findet: im Sampling-Computer.
Das Lebendige an Techno definiert
sich nur über die vitalen Möglichkeiten des Körpers - wer nicht
die eugenischen Mindestanforderungen erfüllt, bleibt ausgeschlossen.
Die geistige Lebendigkeit scheint uninteressant, findet sich höchstens
in Experimenten weniger Außenseiter. Spaß, Spaß, Spaß, Liebe, Friede,
Freude, Eierkuchen und drei Nächte durchmachen - nach der Lektüre
des deutschen Raver-Zentralorgans "Frontpage" oder beim Hören von
Techno, so es Textfragmente überhaupt in die Loops, Beats und Bleeps
hineinschaffen, kann man Techno bestenfalls den Stand bescheinigen,
den Popmusik in den ausgehenden fünfziger Jahren hatte. Alle späteren
Errungenschaften (und Fehler) sind wie ausgelöscht, lobotomisiert,
als habe Pop bloß eine Johannes-der-Täufer-Funktion gehabt, als
sei Pop überhaupt nur existent gewesen, um aus ihm jetzt die eigentliche
Leer-Form unserer Zivilisation zu schlagen.
Dieser Stand der intellektuellen Unschuld
eröffnet plötzlich Außenstehenden die Möglichkeit, mit Hilfe anscheinend
allzeit zum Ausverkauf bereiter "Szenekenner" das leere Gefäß "Techno"
mit Inhalten zu füllen. Noch sind es Schneider und Friseure, Turnschuhschuster
und Limonadenpantscher, Tabakkonzerne und ein paar andere Drogendealer,
die ihre Namen mit 120 bpm in die Synapsen ihrer Opfer hämmern lassen.
Doch im polnischen Wahlkampf oder neulich bei Schirinovsky in der
Disco oder morgen bei den Grauen Wölfen im Jugendheim, da habe ich
die Zukunft von Techno gesehen. Und sie hat schrecklich gelacht.
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