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Alte norwegische Bauernregel: Zieht der Winter über's Land, dann
nimm den Sampler in die Hand. Könnte man jedenfalls meinen, legt
man "Love Comes Shining Over the Mountain" in den CD-Player, einen
tönenden Katalog (und mehr) des eben norwegischen Labels Rune Grammofon,
benannt nach einer Songzeile von Jimi Hendrix: Dutzende herausragender
Elektroniker, Elektro-Akustiker, Sound-Eklektiker zwischen Trondheim
und Tromsø, wer konnte das ahnen?
Aber von Anfang an: Als Rune Kristofferson
1997 das Label gründete, lag seine Zeit als Popstar schon mehr als
ein Jahrzehnt hinter ihm. Er war die eine Hälfte eines leidlich
erfolgreichen Pop-Duos namens Fra Lippo Lippi gewesen; Steely Dans
Walter Becker hat sie seinerzeit produziert, egal, jetzt war Rune
in Diensten der Münchner Musikfirma ECM, oft kopiert, nie erreicht,
gern kritisiert wegen eines vermeintlich überästhetisierenden Klangverständnisses,
das ECM-Eigner und Produzent Manfred Eicher seinen Veröffentlichungen
aufzwinge: Tatsache bleibt, dass die eine Hälfte des ECM-Herzens
stets im und für den skandinavischen Raum schlug, angefangen bei
den Aufnahmen mit Jan Garbarek, Jon Christensen, Palle Danielsson
oder Terje Rypdal bis zu den noch nicht lang zurück liegenden Crossover-Unternehmungen
eines Nils Petter Molvær oder der Jahrzehnte überdauernden Affinität
Manfred Eichers zu Aufnahmestudios in Oslo - Norwegen, mon amour.
Dass Manfred Eicher während der letzten
zehn Jahre das Interesse an einer Musik, die einmal Jazz geheißen
hat, immer mehr verlor, mag man daran bemessen, wie viel Liebe und
Hingabe in die New Series geflossen ist, vereinfacht ausgedrückt:
in den ECM-Ableger für zeitgenössische E-Musik und Avantgarde-Unternehmungen.
Aber auch das "Stammhaus" veröffentlichte Herausragendes, auch wenn
diese CDs so gar nicht zum Image passen, das die Pauschalkritiker
von ECM verbreiten - so machte etwa der britische Improvisationsveteran
Evan Parker mit seinem Electro-Acoustic Ensemble zwei richtungsweisende
Alben, sowohl für die Elektro-Akustische Musik, als auch für ECM,
wie sich jetzt weist: denn Parkers so humane Soundscapes für das
21. Jahrhundert finden nun ihren Widerhall im Repertoire des Rune
Grammofon-Labels, das von ECM aus seiner norwegischen Randlage geholt
und unter die Vertriebsfittiche eines etablierten, aber eisern unabhängigen
Labels geholt wurde: eine Ehre, die bisher nur dem Carla Bley/Michael
Mantler-Clan und dem Label des brasilianischen Gitarristen Egberto
Gismonti zuteil geworden ist.
Die erste Reaktion auf die vorerst
vier Veröffentlichungen der neuen Rune Grammofon/ECM-Partnerschaft
war bei mir schierer Ärger, dass ich drei Jahre lang nichts von
der Existenz dieser unglaublichen und, jawohl, durchweg sensationellen
Musik geahnt und gewusst habe. Speziell der oben genannte Sampler
offeriert im Geiste der Nächstenliebe, nach dem der Geber tausendfach
zurück erhält, einen Reichtum, dessen erleichterte Zugänglichkeit
zu seiner Mehrung und Verbreitung einfach beitragen muss und wird:
Die Bemühungen der Avantgarde finden nach Hause zu den Menschen.
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