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Die Song-Seite war der Hit. Im Dezember stelle ich für Freunde
alljährlich eine C90-Cassette zusammen, Favoriten für's Auto, ziemlich
zufällig komponiert, den CD-Wechsler geladen und los. Eine Seite
Elektronik, eine Seite Songs. Und die Song-Seite war heuer der Hit.
Das ist lang nicht mehr passiert.
Es ging los mit Cat Powers Fassung von "Satisfaction", dann
folgten Kings of Convenience, Hobotalk, Kingsbury
Manx, Lambchop, David Grubbs und als die Cassettenseite
voll war, hatte sich eine melancholische Wohligkeit über Land und
Leute gelegt, ein Versprechen, Zärtlichkeit: Es verändert sich etwas.
Und dann steht es in der Zeitung: Leise ist das neue laut. Der Trend
2001 geht zur akustischen Gitarre. Die Jugend singt und klampft
wieder. Kauft, Leute, kauft, solange die Welt noch nicht schlecht
und die Gefühle noch echt. Kauft.
Der Song war tot, aber er war nie
weg. Mögen die letzten zehn Jahre von elektronisch generierter Musik
mit ihrem Plus an Kraft und Körper dominiert worden sein, einer
derart vitalen und durch ihr bloßes Da-Sein ins Recht gesetzten
Musik, dass selbst die nervösen, sensiblen, vergeistigten Elektronikfrickeleien
an den Rändern der Szene als integrierbar oder wenigstens erträglich
schienen und umgekehrt - eine gigantisches Party-Areal darf heutzutage
widerspruchslos Kunst-park genannt werden, aber immer noch
nicht Fick-Park oder Drogen-Park - doch kam bei dem
ganzen gelungenen Bumm sicher etwas zu kurz, dass mit Emotion, Sentiment,
mit rot werden und mit nicht einschlafen können zu tun hat, mit
Verlegenheit und Unschuld: „I gotta find some tenderness, before
I get to old", Zärtlichkeit wollen sie haben, Turin Brakes
aus Londons Süden, bevor es zu spät ist für sie, bevor sie im großen
Bumm Bumm verheizt worden sind wie die zu diesem Sound gehörenden
IT-Spezialisten und Banker, die gerade zu Zehntausenden wieder freigesetzt
werden, Aktienoptionen in der Tasche, die gestern noch Gold wert
waren, aber beim heutigen Goldpreis... Nein, keine falsche Fuchs-und-Trauben-Metaphorik,
wer wäre nicht gern eine Weile Analyst oder Model oder gefeierter
DJ gewesen, versehen mit der Platinum Card, noch immer die beste
Aufenthaltsgenehmigung der Welt. Aber dass man Geld nicht essen
kann, ist eine Erkenntnis, die sich periodisch durchsetzt, speziell
bei sehr jungen Menschen, die ihren Ekel vor dem Erwachsenwerden
in Worte fassen müssen. Und nun ist es wieder soweit: Der Zyklus
hat begonnen. Die Errungenschaften des großen Bumm gelten zunehmend
weniger. Die Analysten sprechen über die Schreinerlehre, die sie
von Anfang an hätten machen sollen, die Models werden wieder molliger
und die DJs suchen wieder den Song. War es gestern noch ausgemachte
Sache, dass ein 20-Jähriger lieber die Bedienung eines MIDI-Programms
und eines Turntable lernt statt Gitarre oder Saxophon, wimmelt es
plötzlich von talentierten Klampfern, die eben den Teenager-Jahren
entwachsen sind. Weltweit wird wieder der Song angezählt, hängen
Haare über die Augen, die gebannt versuchen, die Finger auf die
richtige Stelle der Saiten zu setzen oder zu picken. Oder Klavier
zu spielen. Es ist sicher kein Zufall, dass das kleine Minor Music
Label zwei CDs veröffentlicht, auf denen junge Jazz-Trios populäre
Songs einspielen, Steve Klink erfreulich souverän und unaufgeregt
Melodien von Randy Newman, Lisa Bassenge noch etwas übereifrig und
vom Produzenten nicht ausreichend eingebremst Lieder von Madonna
bis zu den Beatles. Das sind noch erste Gehversuche, aber die Richtung
ist klar: Eine neue Generation macht sich auf den Weg, den richtigen
Weg.
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