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Man konnte Kurt Wagner ansehen, wie peinlich ihm das war. Da ist
er fertig mit seinem Auftritt, kann sich ein Bier holen, eine Zigarette
rauchen, ein paar freundliche Worte wechseln und dann so was. Seine
Stirn legte sich in Falten, das Gesicht wandte sich ab, seine Finger
spreizten sich unwillkürlich und der Oberkörper krümmte
sich, als hätte er in einem Peckinpah-Film einen Bauchschuss
erhalten. Dabei hatte ich ihm nur gesagt, dass sein Album "Is
a Woman" vermutlich eine der zehn besten Platten sei, die jemals
gemacht worden ist. Man konnte Kurt Wagner ansehen, dass er diese
Aussage als Zumutung empfand, als schiere Idiotie. Dass er diese
Einschätzung nicht akzeptieren konnte. Dass ihm auf Anhieb
all seine Lieblingsplatten, die Namen all der Country-, Soul-, Rock-
oder Jazz-Heroen einfielen, die er so sehr liebt, die er so sehr
bewundert, dass er schließlich seinen Job als Bodenleger aufgegeben
hat, um diese Platte, um "Is A Woman" zu machen, seine
sechste unter dem Namen Lambchop. Seine beste. Eine der besten überhaupt.
Wie soll das gehen? Wie sollte "Is
a Woman" bestehen können neben Meiserstücken von
Curtis Mayfield oder Marvin Gaye, neben den Liedern von Hank und
Neil und Bob und Michael? Nein, für Kurt Wagner wäre die
Welt in Ordnung, würde "Is a Woman", ähnlich
wie davor das Album "Nixon", einige zehntausend Stück
verkaufen in Europa, hier ein kurzes Vordringen in die Charts, dort
ein ganz besonderer Konzertabend, in der Royal Festival Hall vielleicht,
mit kleinem Streichorchester: Das wäre doch wieder schön;
und dann zurück nach Nashville, auf die Porch gesetzt, Bierdose
auf, Beine hoch, den Nachbarn beim Streiten zugehört, der Liebsten
beim Herumkruscheln im Haus, den Backenhörnchen beim Nüsse
sammeln: Hat jemand eine Zigarette?
Dieser Hang zum Entspannten, den fast
jeder Song von Lambchop mit transportiert, lenkt von der Entschlossenheit
ab, mit der Kurt Wagner seit 1995 seine ästhetische Vision
verfolgt, die nüchtern betrachtet eine damals neue hybride
Form amerikanischer Popmusik meinte, die orchestrale Elemente, die
Lakonie guter Cowboy-Musik und das Schwelgerische sowohl von Soul
als auch von Las-Vegas-Pop a la Sinatra vereinte zu einer für
Pop-Verhältnisse sehr durcharrangierten Operettenmusik, die
Vergleiche mit dem American Music Club oder den Tindersticks nicht
scheuen musste und in manchen großartigen Momenten gar an
einen Van Dyke Parks heranreichte. Spezialistenmusik, das name dropping
verrät es bereits. Wirklich aufgefallen sind mir Lambchop aber
erst durch die Beharrlichkeit, mit der Kurt Wagner die Musik als
"Country" bezeichnen ließ: Schließlich besitze
er für seine Musik die Definitionshoheit und lasse sich nicht
vorschreiben, wie Country, respektive Lambchop zu klingen habe
Gut gebrüllt, Baseballmützenträger!
Doch heute, da "Is a Woman" veröffentlicht wird,
ist auch dies nur noch Geschichte; man wird die Musik von Lambchop
nicht länger mit der anderer Gruppen vergleichen, sondern die
Gruppe um Kurt Wagner selbst als Referenzpunkt wählen, als
Fixstern am Pophimmel: Die disparaten Einzelteile haben sich in
einem alchimistischen Prozess zu jenem Stoff amalgamiert, aus dem
- hoffentlich - Platinschallplatten gemacht werden. Oder wenigstens
Legenden.
"Is a Woman" beginnt mit
einigen freistehenden Klaviertönen, als entblöße
jemand seine Seele, als habe einer nichts zu verbergen, als wäre
jede Richtung denkbar, in welche sich die Musik entwickeln könnte;
selbst eine zeitliche Einordnung fiele schwer, eine Bar in den
ja, wann? Da mischt sich in den Nachhall des Pianos der Klang einer
wohl akustischen Gitarre, die scharf akzentuierte Funkriffs spielt:
Wie in einer Aufblende verliert das Bild das Interesse an den Händen
des Pianisten, dreht ab, geht durch den Barraum, durch die Tür,
führt uns hinaus auf die Straße ins gleißende Hier
und Jetzt; schwindlig macht einen das und etwas desorientiert. Gleich
wird einem der Sänger recht geben: "Thought I felt a chill
",
es fröstelt uns trotz der starken Sonne. So fangen große
Platten an.
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