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Kurt Wagners Stimme muss hier kurz
beschrieben werden: Der Stimmumfang scheint beträchtlich; Wagner
kann im Falsett kieksen, kann in tiefem Johnny-Cash-Bariton grummeln,
meist drückt er sich aber hart am Rande des Sprechgesangs herum,
ein Tenor mit einem zu hohen Zigarettenkonsum und der Fähigkeit,
extrem pointiert zu artikulieren; jeder Konsonant schnappt auf wie
die Klinge eines Messers - da rückt uns einer auf den Leib.
Und diese Stimme steht - wunderbarerweise auch live, wenn Kurt Wagner
im Trio spielt, wie vor kurzem in Berlin - stets im Zentrum; um
sie herum gruppiert sich jede Musik. Nur konsequent, dass für
"Is a Woman" der Gesangspart zuerst eingespielt worden
ist, um in Umkehrung des üblichen Studio-Procederes für
diese sonst kaum zu erreichende Präsenz zu sorgen. Die eigentlich
reichlich vorhandenen anderen Instrumente fügen sich in ihre
dienende Rolle; erst konzentriertestes Hören entdeckt uns am
Rande der Hörbarkeit Soli auf der E-Gitarre, Vibraphon-Eskapaden,
die im Gegensatz zur Charakteristik des Instruments ganz trocken
und daher funky wirken, doppelte Bass-Figuren, immer und immer wieder
das Chico-Marx-Klavier des neuen Pianisten Tony Crow, Soulzitate
im Zehntelsekundenformat, all dies eingebunden in diese paradoxe
Produktion, die einem schalltoten Raum und Hall gleichzeitig vorzugaukeln
in der Lage ist, die einem große Ensembles vortäuscht,
wenn nur eine Gitarre spielt und die eine in großer Besetzung
eingespielte Sequenz ganz intim erscheinen lässt.
Die Texte nehmen den paradoxen Ansatz
der Produktion auf: Gehört erscheinen sie simpel, gelesen plötzlich
sehr hermetisch; die Wörter, die Kurt Wagner benutzt, sind
konsequent seinem "stream of consciousness" entnommen,
nicht für uns aufbereitet, nicht für uns bestimmt im eigentlichen
Sinn. Das Räsonnieren über Freundschaft, Ehe, Tod oder
emotionale Verkrüppelung muss sich jeder in seinen Lebenszusammenhang
hinein übersetzen. Nicht nur aus dem Englischen, auch aus dem
Wagnerischen. Wer das Leben nicht nur aus Actionfilmen kennt, dem
dürfte dies allerdings leicht fallen.
Nun darf man aber aus diesen Äußerungen
keinesfalls schließen, bei "Is a Woman" handle es
sich um eine sektiererische Angelegenheit, im Gegenteil: große
Popmusik versteht es ja, komplexe Zusammenhänge durch empathische
Eindeutigkeit zu stützen. Lambchop-Songs sind bei aller Komplexität
sehr vertraut; Mitsummen und Trällern unter der Dusche erwünscht.
Wie alte Bekannte machen sie es die Melodien in den Windungen der
Großhirnrinde gemütlich: Hat jemand Feuer?
Und schließlich ist "Is
a Woman" extrem altmodisch; die Platte will als Ganzes gehört
werden. Das Herunterladen und anschließende Hören einzelner
Songs ist möglich, natürlich, aber so sinnvoll, als fahre
man im Rückwärtsgang über die Autobahn, nur weil
es machbar ist. Nein, man muss Kurt Wagner schon immer und immer
wieder diese eine Stunde Zeit schenken, die "Is a Woman"
dauert: Liegt hierin nicht eines der Geheimnisse, wie die marode
Plattenindustrie mit ihrem Download-Problem umgehen könnte?
Durch künstlerische Aufwertung ihrer Produkte? Auf so blöde
Ideen kommt man beim Hören dieser Musik
Ein "Sleeper" ist nicht
nur ein Terrorist, der auf seinen Einsatz wartet, als "Sleeper"
bezeichnete man einst auch den frustrierten Plattenkäufer,
der mangels Zeit und mangels guter Plattenläden irgendwann
aufgegeben hat, sich mit aktueller Popmusik zu versorgen. Manchmal
erwachen diese Schläfer, diese schweigende Mehrheit der eigentlich
zahlungskräftigen Nicht-Käufer und sie befördern
durch ihr unkoordinierbares und doch koordiniertes Konsumverhalten
wahrhaft exotische Platten und Interpreten in die Hitparaden, Keith
Jarrett etwa oder den Buena Vista Social Club oder Manu Chao. "Is
a Woman" wartet auf diese Schläfer, Kurt Wagner wartet
auf sie, Lambchop wartet, die ohne alle Absicht eines der besten
Alben der Popgeschichte aufgenommen haben.
Lambchop |
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IS A WOMAN |
(City Slang/Virgin 811957-0) |
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