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Mit einem mehrstündigen Fernseh-Feature
eröffneten die Lennon-Erben Weihnachten 1995 das potentiell aufklärerische
Spektakel, dann schoben sie digitalisierte Leichenschänderliedchen
mit eingebautem Hitparadenerfolg nach und drei CD-Boxen mit umfangreich
dokumentierten Abfällen des jahrelangen gemeinsamen Schaffens. Die
Rolling Stones, noch aktiv auf gewisse Art und live so gut wie lange
nicht, auch wenn heute die Theo Waigels dieser Welt Backstage-Charme
verbreiten, gaben sich bescheidener und nur die Jahrzehnte unter
Verschluß gehaltenen Aufnahmen aus dem "Rock'n'Roll Circus" frei,
einer nie ausgestrahlten Produktion für das britische Fernsehen,
deren Staraufgebot einst die Phantasie einer ganzen Käufergeneration
beflügelte: Die Stones mit Lennon, Yoko Ono, Eric Clapton, Jethro
Tull, Taj Mahal, Marianne Faithfull und The Who, allesamt swinging
wie das ganze London.
"Rock'n'Roll Circus" reiht sich nahtlos
ein in die lange Reihe peripherer Stones-Soundtracks, Superstarsessions
und Single-B-Seiten-Compilations, mit der Decca, die ehemalige Plattenfirma
von Jagger und Co. die längst entsprungene Milchkuh quasi fernmelkt.
Alle Beteiligten bleiben weit hinter den Möglichkeiten einer Studioproduktion;
es wird falsch gespielt, übersteuert, chargiert und danebengehauen,
daß es selbst 1968 keine Lust war und das Ergebnis folgerichtig
unter Verschluß gehalten wurde.
Interessanter Kernpunkt der CD: ein
kurzes Wortgeplänkel zwischen den beiden rivalisierenden Hähnen
auf dem Misthaufen London, Mick Jagger und John Lennon, ersterer
gerade dabei, Marianne Faithfull zu ruinieren, letzterer von Yoko
Ono umgemodelt zu werden. Agonie des Mittelmaßes! Das also soll
die spitzzüngige Crème de la Gegenkultur gewesen sein? Solches Wortgewitzel
würde es heutzutage nicht einmal mehr in die mittelmäßigsten Comedy-Hervorbringungen
des Privatfernsehens schaffen.
Es wandelt sich mokantes Erleiden
in gespanntes Interesse: eigentlich verraten auch die Stunden über
Stunden Beatles-Hinterlassenschaft nichts anderes, als daß hier
eine talentierte, aber keineswegs genialische Bande von Handwerkern
solange an ihrem Material tüftelte, bis ein Profi wie George Martin
dem launigen Spiel die endgültige und genrebildende Form gab. Und
es erwächst Trost für alle nachgewachsenen Generationen: Ihr seid
mindestens genauso gut, nur zu spät dran. Einzig der zeitliche Vorsprung
sichert diesen Pilzköpfen und Reserve-Rebellen den Platz im Pantheon
der Popgeschichte.
So ist es nur konsequent, daß der
frechste Beatles-Epigone Noel Gallagher, der mit seiner Band Oasis
die ewig scheinenden Hitparadenrekorde der Beatles bricht, die drei
Anthologie-Compilations der Beatles als seine drei Lieblingsplatten
des Jahres 1996 nennt. Denn er hat es als einer der ersten gewagt,
das Brecht'sche Diktum, leicht abgewandelt, zu befolgen: "Meine
Herren, ich ersuche Sie in aller Demut, Ihren Ohren zu trauen."
Wer ihm und dem Warzenschein Poomba nachfolgt, wird erkennen, daß
es sich nur um kosmische Gasblähungen handelt, die in unendlicher
Ferne verglühen.
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