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Waschen, legen, fönen Teil 1 : 2
Eine neue Gebrauchsmusik versteckt sich unnötig hinter Kunstanspruch und elitärem Kalkül  
 

Man kann von Brian Eno halten, was man mag: Er hat jedenfalls als einer der ersten Popmusiker erkannt, dass der Alltag bessere Musik verdient. Beim Friseur zum Beispiel. Mit ein Grund für mein ungepflegtes Äußeres ist mein Grauen vor dem Besuch beim Haarkünstler meines Vertrauens; die hochtoxische Mischung aus New-Age-Dancefloor-Schlager-Abfuck in diesem Housewife-Repair-Shop hält mich davon ab, regelmäßig und mit dem nötigen Genuss dem beherzten Shampoonieren, dem sanften Klicke-di-klick der speziell gehärteten Schere und dem nasalen Geplapper des Meisters teilhaftig zu werden und treibt mich zottelmänig schon mal zur Lifestyle-Konkurrenz, wo mich nur nervtötend deplazierter Speckgürtel-Techno erwartet. Und beim stinknormalen Friseur ums Eck dudelt Antenne Arabella Drei - den Todgeweihten zum Gruß - etwas, das Brian Eno produziert hat: U2.
     Die Konstante bei Brian Eno ist eigentlich eh seine stets schlechte Frisur, eine Art Beschäftigungsprogramm für fettiges Blondhaar im Kampf gegen frühe Glatzenbildung. Aber wer - außer Eno eben - will wissentlich und in aller gebotenen Bescheidenheit Musik für Friseursalons machen? Ambient darf's schon sein und heißen, raumfüllend, kopfumschwurbelnd, den modernen Menschen einhüllend in eine kaum wahrnehmbare akustische Aura, auf dass er sich nicht nackt fühlen muss in Clubs, Einkaufszentren und - Friseursalons. Genau betrachtet sind Bild und Ton die am weitest verbreiteten Drogen auf diesem Planeten: Wir werden unruhig, gelangweilt, fühlen uns bloß, wenn nicht ein Teil unseres Gehirns mit dem Konsumieren, Auswerten und wahllosen Hin- und Herschieben von akustischer und optischer Information beschäftigt ist, wenn das Radio schweigt, wenn der Fernseher nicht läuft, wenn der Walkman kaputt ist und die Festplatte hängt: Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser und der Raucher nach der nächsten Zigarette...
     Seit sich diese Art Information auf elektromagnetischem Weg verbreiten lässt, seit diese Wellen ohne Unterlass durch unsere Körper vagabundieren, sich in unseren Herzen und Hirnen überlagern, brechen, mutieren, sind wir Menschen anders, verändert. Es reicht, etwas Jane Austen zu lesen und dann Thomas Pynchon oder Dennis Johnson, um die Bedeutung dieser Durchdringung unserer Körper zu erahnen, wenn nicht zu erkennen: Sie ist physikalisch geworden, manifest auf zellularer Ebene. Wo sich die handelnden Personen bei Jane Austen noch selbst Berieseln müssen durch pausenloses Geplapper und feinsinniges Wortgedrechsel, kann sich jeder beliebige Mensch im 21. Jahrhundert zwar in eine körperliche Einsiedelei zurück ziehen - sei es auf einem Fußmarsch zum Südpol oder unter die Kopfhörer seines MP3-Players - die physikalische Präsenz der anderen kann er nicht mehr vermeiden: Mein SMS tobt durch deinen Zellkern. Und den jedes anderen Menschen auf diesem Planeten. Vielleicht erklärt das ja die Selbstverständlichkeit, mit der indigene Völker, gerade von Livingstone und Stanley aufgestört, mit großer Souveränität und gelassener Selbstverständlichkeit auf Grammophone, Funkgeräte, schließlich das Radio reagieren, wenn man den Berichten der Forschungsreisenden aus aller Herren Dschungelgebiete Glauben schenken darf: Das ontologisch Richtige dieser Präsenz der elektromagnetisch übertragenen Information ist erstaunlich, verweist auf Ernst Jüngers in den 50-er Jahren kühn geäußerte Prognose von der strahlenden, energie-gegürteten Welt als nächster planetarer Evolutionsstufe und der unserer Zeit notwendig innewohnenden Techniken, auch wenn Jünger ein anderes Medium erwähnte: „Es kostet viel mehr Mühe, einem Araber das Kreuz aufzunötigen als einen Photographenapparat." Der Siegeszug des Bildes, die Ablösung von und die Auflösung der Malerei war absehbar; die Vehemenz der Telekommunikationstechnologie und der weltweiten Vernetzung der Computer und ihrer Benutzer aber war 1959, wenn nicht denkbar, so doch halluzinierbar: „Würden wir (...) Augen für die Wahrnehmung elektrischer Ströme und Felder besitzen, so würde uns die große Verwandlung unmittelbar sichtbar sein. Wir würden sehen, dass die Erdhülle nach kurzer Dämmerung leuchtend geworden ist.(...) Wir würden unter dieser Aura ein glühendes Netz sehen und überall webende und rotierende Bewegungen."

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