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Kulturpessimismus und Zukunftsoptimismus
halten sich fein die Waage, garniert mit schmackigem (Claudius Seidl,
Thomas Meinecke) opinion leading und Einzeilern, die zu Dreiseitern
aufgeblasen wurden. Erlösend das blasierte Feuilleton von Ulf Poschart
über Stil und Subversion, Iggy Pops Haßtirade, Jon Savages Orientierungsversuch,
einzelne Sätze von Gonzo: "Bill Clinton...würde es keine fünf Minuten
mit Keith Richards in einem Zimmer aushalten - noch weniger würde
das Keith, ausgenommen für 50 000 Dollar die Minute und exklusive
Filmrechte. Das wäre dann Rock & Roll." Da erzählt der Vadder wenigstens
nicht vom Krieg.
Wollte man ein "Spiegel Spezial -
Pop & Politik" parodieren, man würde Campino von den Toten Hosen
Familienministerin Angela Merkel interviewen lassen - doch die Redaktion
hat uns die Mühe der Parodie abgenommen. Nicht einmal parodistischen
Wert hat das dummbatzige Geschreibsel von MTV-Gesicht Ray Cokes,
der aus seiner Zuschauerpost ableitet, daß er die Bugwelle einer
elektronischen Revolution reitet. Dazwischen garnieren focushafte
Buntsprengsel das Heft ("Pop und seine Symbole: Was die richtigen
Lederjacken, Turnschuhe und Goldketten bedeuten"), die einem CDU-Hinterbänkler
wohl verdeutlichen sollen, was Sache ist im Lande Pop, aber nur
das ureigene Desinteresse der Macher an ihrem Produkt dokumentieren.
So steht da Schwarz auf himmelblauem Grund: "Elvis Presley bringt
1956 eine Platte heraus und stellt eine große Bitte an den Rest
der Welt: You can do anything, but please don't step on my blue
suede shoes". Neben dem schlechten Deutsch muß noch bemängelt werden,
das "Blue Suede Shoes" 1955 von Carl Perkins geschrieben und aufgenommen
wurde, seine Eintrittkarte in den Rockabilly-Himmel, damals und
heute. Aber was will man erwarten von einem Pop-Heft, das Jürgen
Möllemann öfter nennt als Andy Warhol?
Nun, etwas weniger Amerika/Deutschland-Zentriertheit,
dafür die ganze Wahrheit über Vaclav Havel und Lou Reed, die Instrumentalisierung
von Pop als Waffe im Kampf gegen die Rassenpolitik in Südafrika
oder die inhaltliche Deformation russischer Rockmusik zum nationalistischen
Propagandamittel.
Diedrich Diederichsen beklagt zurecht
in "Zehn Thesen zu Pop und Politk", dem einzig wirklich lesenswerten
Beitrag des Hefts (bis auf die letzten 5 Zeilen), daß selbst 1994
in den Medien wie an den Universitäten Pop nicht als untersuchenswertes
Phänomen, geschweige denn als gesellschaftlicher Seismograph gesehen
wird. Dieser Vorwurf muß auch dem "Spiegel Spezial" gemacht werden:
Kunterbunt und berühmt und irgendwie dufte ist noch kein Konzept,
höchstens ein Zeichen für kopfloses Ahnen, daß da etwas drinsteckt,
ein Thema, ein Stück Wirklichkeit, ein dickes "Spiegel Spezial"
eben. Nein, wer zahlt, schafft natürlich an. Und dafür zahlt die
werbetreibende Wirtschaft einfach nicht: für eine 130 Seiten starke
Dokumentation der Verwirrtheit ewig Junggebliebener. Und tut sie
es doch, sagt sie unverblümt die Wahrheit: "Wir haben Ihren Kopf
ins System integriert" (Hasselblad) und "Kleine Hitzköpfe beeindruckten
schon immer die Welt" (Canon). Gut gegeben.
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