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Harry Coltellos E-Gitarre wird leiser; der Musiker tritt links
von der Bühne ab, überläßt sie seinem Freund, dem Schriftsteller
Franz Dobler, der hinter einem Tischchen sitzt und mit den Füßen
den Rhythmus stampft zu einem Lied, das nur er hört. Dobler krümmt
sich vor den Mikrophonen, grunzt, brummfelt, fängt an zu sprechsingen:
"Ich bin nur der mit der Gitarre, aggnnnhhh, der mit der Gitarre",
und "Ich kann dir viel erzählen/von diesem Arschloch oder von dem/aber
ich erzähl dir nichts/Ich erzähl keinem was." Krümm, stampf, brummfel.
So beginnt die Lesung von einem, der seine Sätze, wenn er guter
Stimmung ist, gerne mit "Wir Rocknroller..." einleitet, so eine
Basis für Verständigung schaffend, als würde es nicht genügen, wie
eine jüngere Ausgabe von Karl Obermaier und Willy DeVille auszusehen,
um naturgemäß jegliches Falsch aus einem Gespräch zu verbannen.
Einer. Ein Rocknroller. Ein Geschichtenerzähler, der keine Geschichten
erzählen will. Aber es dann, wie alle Rocknroller, doch tut, wenn
er nicht gerade einen Werbeblock verliest, eine Lesungspantomime
inszeniert, Quizfragen stellt, einen Gedenkabend für Benno Ohnesorg
avisiert. Franz Dobler ist noch ein literarischer Insidertip, auch
wenn seine Textsammlung "Bierherz" langsam die verdiente Anerkennung
findet. Dabei gehört Dobler in die Charts, die Kinohitparaden -
hat er doch mit "Tollwut" 1991 ein Romandebüt vorgelegt, das geradezu
nach einer Verfilmung verlangt. Nur hat's wieder keiner gelesen,
an der Filmhochschule nicht und nicht bei der Ufa oder der Bavaria.
"Tollwut", große Klasse, großes Geld, großer Rock & Roll - Ende
des literarischen Werbeblocks, denn eigentlich wollte ich darauf
hinaus, daß Rock & Roll sein Erscheinungsbild in den letzten Jahren
dramatisch verändert hat, aber dann packt mich immer die kalte Wut
und die Enttäuschung, wenn ein Guter wie Franz Dobler nicht bekommt,
was er verdient - was ein klassischer Stoff für einen Rock & Roll
Song ist, womit ich die Kurve wieder kriege, denn Rock & Roll in
den neunziger Jahren lebt, nur lebt er nicht mehr unter dem alten
Namen an alter Stelle, sondern Rock & Roll hat eine Metamorphose
hinter sich, wie sie der Blues bereits zu Beginn der achtziger Jahre
durchgemacht hat (vom Bluesschema zum Nick-Cave'schen Freistil etwa).
Dort, wo heute Rock & Roll draufsteht, sind nur mehr bedauernswerte
Kopien und lebende Leichen drin. Das Ding an sich hat sich gesundgeschrumpft
zu "dem mit der Gitarre". Bob Dylan hat mit seinen letzten beiden
Platten den Weg gewiesen: die Neuinszenierung des Rebellen ohne
Grund, des Geworfenen, des Außenseiters, des Nichtintegrierbaren,
des Gottgleichen als Protorocknroller in einem zwar präelektrischen,
wohl aber postmodernen Verantwortungszusammenhang, der fälschlicherweise
gerne für Folkmusik gehalten wird. Blue Suede Überbau-Shoes. Wer
weiß, wie laut und fies und gemein und wenig integrierbar er sein
kann, braucht in Zeiten der falschen Debatten über die falschen
Inhalte nur sechs Saiten und sich selbst: Gewalt im Fernsehen ist
eine Renate Schmidt mit den Alpinkatzen in der Abendschau. Dagegen
ist "Predator" die Kinderstunde.
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