|
Nun haben Tocotronic Abitur und die
Merricks eine eigene Eiserne Lunge. Das von Moritz R gestaltete
Cover von "Escape from Planet Munich" ist wie der CD-Titel in seiner
Zitathaftigkeit eher irreführend: Das Munich der Merricks wird weder
von Affen bewohnt, noch steht das Olympiastadion in einem bonbonbunten
Los Angeles. Die Sonne, die auf diese Musik herunterscheint, muß
einen deprimierenderen Smog durchdringen als den der kalifornischen
Stadt der Engel; die Stimmung ähnelt den verwüsteten Beach Boys-Platten
der späten 60er Jahre oder einem Townes-Van-Zandt-Song aus dieser
Zeit, auch wenn die Musik zuerst aufgeregt und tanzbar tut, und
der Beat da ist, und die Disco-Kugel rotiert, und der Baß den rechten
Rhythmus zum falschen Reggae pumpt. Sinnstiftend sind höchstens
die drei Tiki-Gesichter auf dem Cover, palmenhohe Hüter einer scheinbaren
Primitivität, denen aber für Raffinement stehende Namen eingemeißelt
sind: Tiki Bruckner wartet cool ab, Tiki Morricone scheint gerade
einen Schlag in die Genitalien abbekommen zu haben, Tiki Moondog
greint: Da hat jemand gegen den Kontrapunkt gesündigt. Diese sehr
beiläufig gedroppten Namen dreier Großmeister der emphatischen Musik
verweisen auf die neuen, veränderten, vielleicht sogar verstörten
Merricks, deren neue Klangräume hinter der dünnen, aufgeregten Fassade
auf den Hörer warten: Hier wird jetzt Musik gemacht, die nicht nur
das Heute kennt, sondern um ein finales Morgen weiß, Totenmusik,
schwermütiges Bummbumm, Verlust beschreibend, fremd nicht nur wegen
der Vocoderstimmen, und das bei FSK geborgte "Move Ahead" wird nicht,
wie früher, nach der Beerdigung, sondern auf dem Weg zum Friedhof
gespielt. Durch die neue, eventuell biographisch-biologische Komponente
haben die Merricks ihrer Musik eine unerwartete Dimension erschlossen:
Death Disco, gibt es das? Eine großartige, eine traurige CD.
Ich habe bisher das Wort "erwachsen"
vermieden, weil die Merricks-Musiker zumeist Herren im besten Alter
sind, Sängerin und Keyboarderin Marion Dimbath möge mir verzeihen.
Vielleicht erklärt dies die nicht eben unterschwellige Tristesse
von "Escape...", vielleicht ist sie ein Automatismus, mit dem sich
alternde und gealterte Bewohner des Landes Pop unhinterfragend dem
Grundgesetz unterwerfen, nachdem die Jugend immer recht habe. Daß
dieses Pop-Axiom von inzwischen älteren Herrschaften formuliert
worden ist, um in einer Art vorauseilendem Gehorsam der eigenen
Vergangenheit in der jugendlichen Gegenwart der nachfolgenden Generation
zu huldigen, wird nie bedacht: Wenn ich im Kino den Werbespot sehe,
mit dem Hip-Hop-Techno-Piercing-bunt im schnellstmöglichen Schnitt
der Teenager-Klientel das endgeile Gefühl vermittelt wird, das sich
tripmäßig einstellt, wenn man einen Bausparvertrag abschließt, der
einem dann im Handumdrehen zur voll unspießigen Dachwohung verhilft,
wo man sich vom Streßjob als VIVA-Moderator erholen kann - dann
würde ich am liebsten vor den Eingang des Kunstparks Ost kotzen.
|
Weiter
>>
|