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Nur ein toter Song ist ein guter Song (Fortsetzung) Teil 1 : 2
 

     Den besonderen Kick erhält der Song durch den gedanklichen Spielraum, den er dem Zuhörer lässt; die Strophen beginnen jeweils mit "Ich weiß nicht, wieso ich Euch so hasse...", starker Tobak, um dann durch eine vordergründig geringe Fallhöhe zu überraschen: "...Fahrradfahrer dieser Stadt", die einen sofort selbst grübeln lässt, was sich an guten Hassgründen finden ließe gegen diese Personengruppe, die wiederum für eine politische Haltung steht, für eine neue, diesmal fusselbärtige Form der politischen Unkultur: ja, genau! Bereits 1993 formierte sich also jene Fluchtbewegung einer neuen Generation weg von den verstudienratisierten Grünen, die der Partei heute solche Rätsel aufzugeben scheint. Mit "Freiburg V3.0" ist diese Fluchtbewegung in der Gegenwart angekommen. Und es sieht nicht gut aus, hört sich aber gut an.
     Exitus: Consoles "Freiburg" ist auf verschiedenen Ebenen entpersönlicht. Zum einen existiert auch die "Version 3.0" nicht eindeutig, sondern in verschiedenen Remix-Abarten, die zwischen Elektropop à la Sparks und Techno changieren. Dann wurde der Text ins Englische übertragen und damit stärker von seiner Freiburger Biographie-Authentizität weg gerückt, als es der ursprünglichen Intention der bewusst deutsch singenden Tocotronic entsprochen haben kann. Und dieser Text wird nun nicht mehr von einem Subjekt, einem Sänger vorgetragen, sondern von einem Objekt: Sprachsamples singen ihren Sirenengesang zwischen Androgynität und elektronischem Stimmbruch. Diesem body electric, der hier zu bestens tanzbaren Beats seine Stimme via Keyboard erhebt, haftet von der ersten Sekunde eine enorme Kompetenz an. Die Stimme aus der Maschine singt für eine Generation, die ihre Heimat eindeutig in einer nicht-vokalen Musik gefunden hat, bei Techno und House und Elektronica. Und dieses Nicht-Vokal meint nicht nur die Abwesenheit einer Gesangsstimme: Ftttr - ftttr - ftttr - ftttr wummert es heute aus vorbeifahrenden Autos, nicht mehr bumm - bumm - bumm. Worte sind bloße Klangquellen neben anderen, Inhalte sind unerwünscht. Ihre Abwesenheit ist der Inhalt, auch wenn seit geraumer Zeit rein instrumentale Stücke wieder gern als "Song" bezeichnet werden: Koketterie. Spielerisch leicht hat die Technomusik das Dilemma der musique concrète gelöst, dass referentielle Klänge billigen Assoziationsabklatsch liefern und nichtreferentielle Klänge ein Nichts, da eben nur das Nichts existiert außerhalb von Doremi, wie Pièrre Schaffer einst resignierend Bilanz zog. Elektronisch generierte Popmusik hat die Differenzierung zwischen Geräusch, Lärm und Musik durch völlige Nichtachtung dieser Kategorien außer Kraft gesetzt; der Trick gelang durch die völlige Hingabe an den Körper und an den Rhythmus. Und eine von Spät68ern erzogene Kinderladen-Generation hat diese geistige Freifläche, diese trans-intellektuelle Spielwiese gern und konsequent bezogen: Absolute und gewollte Vereinzelung, als Normalität tagtäglich in der Werbung und im Wirtschaftsteil jeder Zeitung nachzuschlagen, findet dann ihre geträllerte Entsprechung in Consoles Computerstimme: "I don't know why I hate you so much" und "I'm alone now and I know it...while you demonstrate community." Besonders perfide ist hier die Übersetzung von "Verbrüderung" mit "community", weil aus einer dubiosen sozialen Handlung, der Verbrüderung der grünen SpießergesellInnen, eine komplette Desavouierung des sozialen Handelns wird: Alles, was mit Gemeinsamkeit, mit Verantwortung für Mitmenschen zu tun hat, wird zur Pestbeule einer abgehalfterten Elternkultur, wird zur altbackenen Gefühslduselei. Mit "Freiburg V3.0" wird die Zugbrücke zwischen den Generationen erstmals so richtig nachvollziehbar hochgezogen. Der Außenminister muss trotz Dreireiher draußen bleiben, während drinnen der Kampf um Vorzugsaktien und zukünftige Managementpositionen jeder gegen jede in Abenkleid und Smoking ausgetragen werden: "...and I think it's even cool."
     Leichenstarre: Die erste Tocotronic-CD aus dem Jahr 1993 hieß "Digital ist besser".

 

 

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