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Nichts wiederholt sich im bundesdeutschen Musikalltag so stereotyp
durch Jahre und Jahrzehnte wie die Beteuerung, die sogenannte ernste
Musik und die sogenannte leichte Musik seien gleichberechtigt und
gleichwertig, eine wertende Unterscheidung sei absurd und ohne 90
Prozent harter Arbeit könne man hie wie dort nichts zustande bringen.
Alles Lüge, alles Faxen, aber man hat sich so an das liberale Getue
gewöhnt, daß der gegenseitigen Wertschätzung von E und U bereits
etwas derart Axiomatisches anhaftet und über Verifizierung oder
Falsifizierung gar nicht mehr nachgedacht werden muß.
Dichtauf in der Hitparade der Gemeinplätze
folgte lange Zeit die gleichermaßen unsinnige Frage, ob man als
Popmusiker deutsch oder englisch zu singen habe, wenn der Personalausweis
Köln, München oder Hannover als Geburtsort nennt. Deutsch, weil
einen der hiesige Mitmensch besser versteht und kauft. Englisch,
weil es die genuine Sprache des Pop ist, international vermarkt-
und verstehbar, allein durch die anglo-afro-amerikanische Herkunft
der Popmusik die einzig mögliche Zunge derselben.
"Folgte" heißt es drei Sätze weiter
oben, denn die neunziger Jahre haben eine popmusikalische Binnenentwicklung
in Deutschland gebracht, die die liebgewordene Diskussion obsolet
werden ließ: Während Marius Müller Westernhagen deutsch singend
durch Sportarenen tingelt und die Prinzen die Teenager abkassieren,
singt auch der Underground aus voller Brust sein deutschsprachiges
Lied, rappt der Rapper den deutschen Reim, ist Techno fest in deutscher
Hand, ist deutscher Text zu welcher Art von Popmusik auch immer,
sowohl unter kommerziellen wie auch unter künstlerisch/formalen
Kriterien, ein nicht mehr wegzudiskutierender Fakt, eine Selbstverständlichkeit.
Und wem es nicht paßt, der singt halt englisch. Oder rappt türkisch
oder kurdisch oder kölsch. So weit, so vordergründig einfach.
Schwierig wird es, weil es eine speziell
deutsche Spielart der intellektuellen Gschaftlhuberei gibt, die
einer neu auftauchenden Entwicklung solange die Existenzberechtigung
abspricht, bis sich am Ende der entweder mit Heiligsprechung oder
Scheiterhaufen endenden Untersuchung kein Mensch mehr für die Diskussion
und die Argumente interessiert. Nun fällt die Existenz der endlich
oder meinetwegen in deutscher Sprache singenden Gruppen, deren Musik
und Texte mit den interessantesten englischen und amerikanischen
Bands mithalten können, mit der historischen Entwicklung zusammen,
die die Teilung Deutschlands beendet hat: Sofort diagnostizierten
die ebenfalls historisch etwas in die Bredouille gekommenen linken
Kaderdiskutanten in vorwiegend kleinen, aber in ihrer Meinungsführerschaft
nicht zu unterschätzenden Publikationen großdeutsche Machtphantasien,
identitätsstiftende Schlachtgesänge, nationales Widergängertum.
Allerdings wird der Hang zum dumpfen
Großdeutschentum selbst von den zelotischsten Internationalisten
nicht den Gruppen wie Blumfeld, FSK, Regierung, Tocotronic oder
Flowerpornoes angelastet, weil deren Arbeiten sich in Inhalt und
Qualität selbstevident über solch widerliche Unterstellungen erheben.
Ziel der Attacken waren und sind vielmehr Menschen, die sich für
die Verbreitung der ihrer Meinung nach frohen Kunde stark gemacht
haben, daß es nach popmusikalisch eher dunklen Jahrzehnten, in denen
stets nur Einzelgänger aus deutschen Landen internationale Beachtung
- also eine Teilhabe am weltweiten Popdiskurs - verdient hatten,
jetzt eine breite Basis aus Deutschland kommender und auch deutschsprachiger
Popmusik gibt, die sich eben nicht mehr über ihre Herkunft exotisieren
muß ("Nicht schlecht für eine deutsche Band!"), um international
beachtet zu werden, sondern einfach ihr Geschrammel selbstbewußt
neben das Geschrammel von anderen stellen kann: Pop.
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