Musikmeldungen aktuellMusikstromKolumnenSoundcheckPopalphabetGastbeiträgeWeblinksKontaktinfo
Home
Am 1. Juli verschwindet der Name "Rough Trade" endgültig aus dem Popgeschehen Teil 1 : 2
 

In alten amerikanischen Spielfilmen kommt an dieser Stelle meist ein älteres Männchen im Overall ins Bild; es hat ein paar Pinsel dabei, einen Farbtopf und einen Satz Schablonen. Das Kerlchen kurz vor der Pensionierungsgrenze macht sich dann an einer Milchglasscheibe zu schaffen, schabt, kratzt, pinselt an der Tür herum, hinter der bald ein neuer Bürohengst wiehern wird, gern der Hauptdarsteller des Films, der nach der unvorhergesehenen Beförderung sein Mädchen endlich heiraten kann. In Herne und Köln wird heute nicht einmal solch ein grauer Statist durchs Bild schlurfen, wenn aus Rough Trade Deutschland Zomba wird: Erstens sollen die gleichen Hengste weiterwiehern wie bisher, zweitens ist der Namenswechsel nur noch eine kosmetische Maßnahme zur Homogenisierung eines international tätigen Musikkonzerns; Rough Trade ist zu 80% im Besitz der Zomba Music Group, seit die amerikanische Firma 1996 den damaligen Rough-Trade-Mehrheitseigner Pinnacle in Großbritannien übernahm. Zomba pickte sich damit halbwegs funktionierende Vertriebs- und Marketing-Unternehmen heraus, die eine zukunftsträchtige Europa-Basis abgeben sollten für die auf den Zomba-Labels Jive und Silvertone produzierten Unterhaltungskünstler wie R. Kelly oder Tupac Shakur. 1999 ist es endgültig soweit: Zomba feiert weltweite Umsatztriumphe mit Backstreet Boys und Britney Spears: Wenn einem so viele Nummer-Eins-Hits beschert werden, da mag man mit dem eigenen Namen nicht länger hinterm Berg halten - Australien, Frankreich und Kanada erhalten eigenständige Zomba-Marketingbüros, in Deutschland ist der Juniorpartner Rough Trade mit seinen 140 Mitarbeitern fällig für die Neutaufe und einen teilweisen Umzug vom provinziellen Herne in das Provinz-Hollywood Köln.
     Was sich hier liest wie die Kurzbeschreibung der Umstrukturierung eines mittelständischen Unternehmens, ist eine solche - und doch so viel mehr. 1976 eröffnete in London ein Plattenladen mit dem Namen Rough Trade und wurde umgehend zur Anlaufstelle für alle Musiksonderlinge der Stadt, eine Informationszentrale für Punks, Reggae-Fans, Elektronik-Obskuranten, wo man seine selbstfinanzierten Singles vorbeibringen konnte, die Eigenbau-Singles von Gleichgesinnten zu hören bekam und diese Gleichgesinnten vor und hinter dem Tresen gleich mit traf. Geoff Travis, der Gründer des Ladens, war einfach der richtige Mann am rechten Ort zur rechten Zeit: Punk begann; die Unzufriedenheit mit der Musik der Unterhaltungskonzerne kulminierte; eine neue Musik suchte sich ihre passende Struktur, und aus dem Laden ging schnell ein Label hervor, dessen Veröffentlichungen das Wetterleuchten jenes Phänomens waren, das bald Independent Music heißen würde. Die großen Firmen sicherten sich zwar in teils absurden Marketingschlachten die Rechte an den Stars der neuen Szene - Sex Pistols, Clash -, aber bei Rough Trade spielte die Musik der Zukunft: Stiff Little Fingers, Television Personalities, Slits, Raincoats, Scritti Politti, Cabaret Voltaire. Krachiger Punkrock fand Platz neben minimalistischen Lärmorgien, frei assoziierte Pop-Phantasien erschienen parallel zu Klangexperimenten mit Küchengerätschaften und einer Rhythmusbox. Wo Rough Trade draufstand, war Freiheit drin, und diese ungeahnten Möglichkeiten inspirierten europaweit, vom brennenden Zürich bis ins häuserbesetzende Berlin, die bisher Chancenlosen im Musikgeschäft, die Dinge selbst in die Band zu nehmen. Bands gründeten sich, Labels entstanden, neue Vertriebsformen und Formate wurden durchgetestet - und jede Rough-Trade-Platte kaufte man blind. Das Label und der Laden wurden zur Blaupause einer kulturellen Revolte; für jede Gruppe, die zu den Multis wechselte, waren gleich fünf neue, spannendere zur Hand. Das Hase-und-Igel-Spiel schien kein Ende zu nehmen, aber der baldige Tod der Hasen CBS, EMI oder Phonogram war beschlossene Sache.

Weiter >>

 

Musikmeldungen aktuell | Musikstrom | Kolumnen | Soundcheck | Popalphabet | Gastbeiträge | Weblinks | Kontakt