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Eine an klanglichen Vorbildern orientierte
Beschreibung der suitenhaften Godspeed-Stücke könnte sich so lesen:
Eine Grateful-Dead-Live-Jam, vorgetragen mit der Energie von Sleater-Kinney,
der politischen Ernsthaftigkeit von Hardcore-Punks und unterfüttert
mit dem Dröhnen eines Velvet-Underground-Bootlegs von 1968. Nicht-referentiell
beschrieben hören wir instrumentale, gitarren- und streicherdominierte
Rockmusik mit Hang zur Wiederholung und Schichtung, die auf starke
dynamischen Wechsel als Strukturierungshilfe setzt und gelegentlich
O-Töne und Sprachfetzen als Stilmittel verwendet. Wuchtig wäre ein
passendes Attribut, wütend, episch, melancholisch, aber auch voller
Vertrauen aufeinander, voller Hoffnung, dass man selbst etwas bestimmtes
erreichen kann: Ob damit der 1. Preis beim alljährlichen Totentanz
gemeint ist oder die Absicherung durch eine bürgerliche Existenz
bleibt unklar.
Hilfreicher als solche Spekulationen
über die Motive der neun Geheimniskrämer dürfte doch die Parallele
zu Grateful Dead und Jerry Garcia sein. Wie beim nordkalifornischen
Hippie-Kollektiv folgte auf eine Phase der Selbstfindung eine intensive
Kommunenerfahrung, während der alle alles mit allen teilten und
deren musikalischer Ausdruck das lange, unter dem Einfluss von psychedelischen
Drogen stattfindende Jammen war: Nur konnten die Dead diese intensive
Musikerfahrung nie wirklich auf Platte fixieren. Die Godspeed-Kommunarden,
zusammengepfercht nicht in Haight-Ashbury, sondern in Mile End,
haben allerdings nun mit "Levez Vos Skinny Fists..." genau dies
erreicht: diese Dringlichkeit ihres persönlichen wie politischen
Erlebens in Töne umzusetzen. Die Dringlichkeit, die von diesen Tönen
ausgeht, ihre am besten ohrenbetäubend laut gehörte Richtigkeit
verlangt nun, nach dem eingangs festgestellten scheibchenweisen
Sterben der Rockmusik - denn genau diese machen Godspeed You Black
Emperor - zu einer Revidierung dieser Position, genauer: nach einer
Revitalisierung. Denn hier haben wir Rock, der lebt, Rock, der -
aufbauend auf den Leistungen von LaMonte Young, Velvet Underground,
Grateful Dead, Roxy Music, This Heat - nicht mehr nur selbstreferentiell
die Vergangenheit ausdeutet, sondern wieder eine wenn auch wortlose
Botschaft hat, die Jugendliche auf der ganzen Welt anzusprechen
in der Lage ist. Und diese Botschaft lautet: "Du bist nicht allein."
Und diese Nachricht wird mit einer Stärke vorgetragen, dass ich
mir gut vorstellen kann, wie überall auf diesem Planeten Menschen
ihre Computer abschalten, um sich wieder diesem anachronistischen
Ding mit den sechs Saiten namens Gitarre zuzuwenden, sich erst leise,
dann immer lauter "Gutes Gelingen!" wünschen - und losrocken. Wie
der Wahnsinn dieses Start-Up-Hamsterrades verlassen und der dicke
Joint wieder mit dem rose Papier der "Financial Times" angezündet
wird. Vielleicht ist die Musik von Godspeed You Black Emperor aber
auch nur der laute Knall, mit dem der Sargdeckel mit der Aufschrift
"Rockmusik" endgültig zugeknallt wird. Wir werden es erleben.
Godspeed You Black Emperor |
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LEVEZ
VOS SKINNY FISTS COMME ANTENNAS TO HEAVEN |
(kranky/Indigo/Hausmusik
krank 043) |
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