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Die Hitparade sagt die Wahrheit: 1981 hießen die Interpreten
der erfolgreichsten deutschsprachigen Hits Roland Kaiser, Hanne
Haller, Nana Mouskouri, Nicole und Paola. Erst Platz 30 der Jahresbestenliste
lieferte einen kleinen Hinweis, dass es außerhalb der Welt
der Schlümpfe noch einen neuen, vom Gros der musikhörenden
Bevölkerung unentdeckten Kontinent gab: Dieter Hallervorden
sang von der "Punker Maria": Nicht das Lied - wer erinnert
sich daran? - sondern das Wort "Punker" verweist auf eine
subkulturelle Minorität, die sich seit Mitte der 70er Jahre
in einem bewussten Konflikt befand mit den herrschenden politischen,
kulturellen und ästhetischen Codes, die Punks. "Ich wusste
natürlich nicht, was ich als Punk machen sollte. Außer
Schule abbrechen. Was ein Punk eben so macht, hehehe." Vereinfachend
geschrieben hatten sich weltweit junge Menschen - meist oder bald
Musiker - durch hochgradige Unberechenbarkeit der gesellschaftlichen
Kontinuität entzogen, indem sie sich selbst und die eigenen
Hervorbringungen zu Wegwerfprodukten stilisierten und als den eigenen
Ort jenes "far out" postulierten, wo seit je die Drogenabhängigen,
Perversen, Herumtreiber und Jazzsaxophonisten hausen. "Der
Junge-Union-Chef rief schon nach der Polizei. Und so ein paar aufgebrachte
Law-and-Order-Schülervertreter und der Hausmeister versuchten
uns zu stoppen. Die sind so was von aggressiv geworden. Die sind
auf die Bühne gestürmt und wollten uns alle verprügeln."
Die geistigen Grundmauern dieses selbstgewählten Asyls hinterm
Abgrund lieferte der Situationismus eines Guy Débord, der
fixe Anstrich kam aus dem todesnahen Hause Warhol, möbliert
war das Ganze aber ganz simpel mit einer stumpf-pubertären
Ablehnungshaltung gegen die Welt im allgemeinen, die nach dem offenkundigen
Scheitern der politischen Utopien der 60er Jahre als repressiv und
verlogen empfunden werden musste. "Ich war damals gegen alles.
Und es musste auch immer möglichst radikal sein. Dann gab es
in Hamburg die ersten Hausbesetzungen. Die Leute, die da mit drinnen
waren, ergaben später so ein Who is Who' des deutschen
Terrorismus. Die ganze zweite RAF-Generation. Ich habe auch drei
Wochen im Knast gesessen. Unter Bedingungen, unter denen man damals
als Terrorist gesessen hat. Völlig isoliert. Das hat mir einen
Schock versetzt. Ich war ja gerade mal 18." Der damals als
hedonistischer Verdummungsstrategie verschrieenen Disco-Welle wurde
der gewalttätige Pogo als Modetanz entgegen gerempelt, als
unmittelbare und von Außenseitern nicht nachvollziehbare Kommunion
der Spuckenden, den schicken Klamotten eines John Travolta die lumpenproletarische
Sicherheitsnadel-Couture eines Sid Vicious, der selbstgehäkelten
Traumwelt der friedensbewegten Gutmenschen die maschinengetaktete
Rhythmik der vollständigen Vereinzelung. "Die andere Sache
war, dass ich aus dieser Jämmerlichkeit der Hippies raus wollte.
Diese Leute hatten alles besetzt, was Protest hieß. Also musste
ich mich mit ihnen auseinander setzen. Das hieß etwa, in einen
linken Buchladen zu gehen und zu sagen:Heil Hitler, Genossen!'".
Ob sich der Dissens nun als "No future!" oder als "Ja
zur modernen Welt" parolenhaft formulieren ließ, ob man
auf der Gitarre zwei oder drei Akkorde schrubbte oder mit Kinderinstrumenten
und Küchengeräten nach dem adäquaten Ausdruck einer
neuen Zeit forschte, einig schien sich die sonst so heterogene und
doch weltweit irgendwie simultan auftretende Szene in der Annahme,
dass die bestehenden Produktions- und Distributionskanäle ungeeignet
waren, die Hervorbringungen der eigenen Do-it-yourself-Philosophie
unters gleichgesinnte Volk zu bringen. "Lieber zuviel als zu
wenig!" Die amerikanischen Punk-Bands der ersten Stunde machten
meist schlechte Erfahrungen mit den bestehenden Plattenfirmen; in
Großbritannien führte Sex-Pistols-Erfinder McLaren die
etablierten Labels am Nasenring durch die Manege der Moden und entlarvte
sie als ebenso dumm wie unfähig; dazu kam noch der wirtschaftliche
Einbruch zwischen dem Ende der Disco-Welle und der Einführung
der CD - die Zeit schien reif, den Geldsäcken von der Großindustrie
durch eine Kombination aus Verweigerung und Eigeninitiative den
Garaus zu machen. "Wir waren uns unserer Sache sicher. Wir
wussten schon, dass diese Plattenindustrietypen die längste
Zeit das Sagen hatten. Dass wir eine eigene kulturelle Entwicklung
in Gang gebracht hatten." Doch wie heute in Zeiten des kollabierten
Neuen Marktes erwies sich bereits damals das Durchhalte-Vermögen
(in doppeltem Wortsinn) der Branchenriesen dem kurzfristig triumphierenden
Witz der Start-Ups überlegen: Was die Großen nicht selbst
konnten oder kannten, kauften sie sich zusammen; und wer oder was
sich nicht kaufen ließ, wurde in kommerziell besser verwertbarer
Form nachgeäfft. "Das Klima war dann versaut. Der Begriff
Punk' war wertlos geworden." So folgte hierzulande auf
das von den neuen Tönen noch gänzlich unbeleckte 1981
der Dschingis Khans und Roland Kaisers das Jahr 1982 als Jahr der
"Punker Maria" à la mode: aus einem eher ungeliebten
Kampfbegriff der Subkultur wurde über Nacht ein Marketingkonzept.
"Wir hatten freie Auswahl zwischen fünf großen Firmen
- und haben mörderisch viel Geld rausgeholt. Weil wir die gegeneinander
ausgespielt haben. Es war schon so eine Goldgräberstimmung
in der Plattenindustrie, mit dem ganzen Neue-Deutsche-Welle-Quatsch
eine Mörderkohle zu machen." Nur Nicole und Andy Borg
konnten 1982 noch die Schlagerfahne hoch halten, ansonsten gehörte
der Markt Trio, Joachim Witt, Falco, Hubert Kah, Markus, Spliff,
Extrabreit und Fräulein Menke. Und der Spider Murphy Gang,
die auch irgendwie als frisch und deutsch und neu durchging. "Dann
hat die Agentur diesen Cadillac für uns gemietet. Wir wussten
gar nicht, was wir damit anfangen sollte. Wir spielten ja noch in
Jugendzentren." Am Ende des NDW-Sommers wollte dann niemand
mehr die Fön-Fressen sehen, aus denen launiges Liedgut lullerte.
"Irgendwann meinte der deutsche WEA-Chef: Das sag ich
euch jetzt schon: Wir plakatieren die ganze Bundesrepublik mit euch.
Dann seid ihr ein Jahr in den Charts. Und dann seid ihr weg vom
Fenster.' Und genau so war es dann auch." Die Neue Deutsche
Musikherrlichkeit war also schneller vorbei als man "Pogo in
Togo" sagen konnte und mit überrollt wurde auch gleich
auf breiter Front die gerade noch so fies-fröhliche Subkultur.
"Und dann kam auch noch eine Pizza geflogen." Der Rest
war Toten Hose(n) und Nena, die von sich kürzlich behauptete,
sie sei irgendwie immer noch ein Punk und würde gern angetrunken
mit ihren Mitmusikern Stühle aus Hotelfenstern werfen. "Markus
und Nena? Das war ja konventionell produzierter Schlagerpop. Das
waren einfach Mucker mit gewieften Produzenten, die auf einmal dasselbe
machten wie wir - nur eben in doof."
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