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Synkretismus ist laut Brockhaus, wenn eine amerikanische Reisegruppe
am Ende eines langen Besichtigungstages in den Speisesaal eines
italienischen Hotels einfällt und sich wie selbstverständlich gleichzeitig
an Desert- und Salatbar bedient, Parmesan über den Obstsalat streut,
Öl dazu und fertig.
Stimmt natürlich nicht, das mit dem
Brockhaus, verdeutlicht aber das postmoderne Dilemma der neunziger
Jahre: Was als mal gebildetes, mal eingebildetes Spiel mit bruchstückhafter
Zitierweise und ironisierter Authentizität begann, was immer größeres
Raffinement bei Spielern und Publikum erforderte, was die Klugen
immer klüger und die Dummen immer dreister werden ließ, bis sie
kaum mehr zu unterscheiden waren, das ist in diesem nicht mehr ganz
taufrischen Jahrzehnt zur tumben Anarchie der Zeichen verkommen,
wo keine Verknüpfung von Bedeutungen mehr stattfindet, sondern deren
Verwesung: die Kompostmoderne - ein synkretistischer Kult, der seinen
Anhängern verschweigt, daß sie sich an zwei einander ausschließenden
Salatbars bedienen. Dafür stehen exemplarisch niederträchtig die
ausreichend beschriebenen Randalierer von Rostock, die mit Malcolm-X-Mützen
behütet Molotov-Cocktails nach Vietnamesen warfen, wie die als Einzelmensch
harmlos bis lachhaft erscheinenden Durchschnittsschlurfis, die in
grellen Trainingsanzügen, obszönen Radlerhosen und "lustig" beschrifteten
T-Shirts optisch vom Sieg des Pop künden, wo sie doch nur den Triumph
des Mobs und eine Verrohung der Sitten ankündigen, wo immer sie
ihre in stinkende Designer-Turnschuhe gehüllten Füße auch hinsetzen
mögen.
Dieser gesellschaftliche Aggregatzustand,
in dem sich avancierte und daher auch gefährliche Praktiken ästhetischer
Vorhutaktionen als Allgemeingut mißverstanden sehen und ein "Anything
Goes!" gar nicht mehr verkündet zu werden braucht, weil das Anything
eben schon alleine rasen gelernt hat, trägt in sich die Katastrophe
- allerdings nur für jene, die noch ein bißchen Restverstand und
Menschlichkeit zu verlieren haben. Bunt mordet und betrügt und korrumpiert
es sich genauso gut wie in Nadelstreifen - Pop goes die Reaktion.
Will man die allgemeine Nieder-Tracht
nicht umarmen und begrüßen, was eine durchaus legitime Taktik sein
könnte, so bleibt nur die stete Akkumulation von Information, das
Sammeln und Weitergeben von Verstandenem, vulgo Aufklärung. Was
Pop angeht, bescherte uns der Zufall ein lokales Wunder der Didaktik:
Während der letzten Wochen war die Historie des Singer/Songwritertums
in Münchener Clubs nachzuvollziehen, als hätte ein wohlmeinender
Seminarleiter seine Finger im Spiel gehabt. Den chronologischen
Beginn des weißen Mittelschichtexperiments Pop repräsentiert in
unserer Zufallskette Michael Hurley, dessen Vita zurückweist in
die fünfziger Jahre, als die Kids in den USA ihre Körper in Bewegung
setzten, um den Geist zu befreien: Beat. Reden, reden, reden, Marihuana
rauchen, trinken, Sex, Gitarre spielen, Auto fahren, Auto fahren,
Auto fahren, von Pennsylvania nach New York, von New York nach Boston,
von Boston nach Colorado und an die Westküste, Songs schreiben,
aus der Schwäche Amerikas, daß man mehr Geographie als Geschichte
besitzt, Kapital für die eigene Biographie schlagen, die Dissidenzmodelle
der ethnischen und sozialen Minderheiten auf ihre Tauglichkeit im
Kampf gegen die Eisenhower-Ära austesten - so begann das große Spiel
um Jugend und Zukunft und Glück, eine einzige verwirrte Diebestour
einer Generation zwischen Allen Ginsberg und Arnie "Woo Woo" Ginsburg,
dessen "Night Train Show" den Rock & Roll in die Köpfe blies. Hurley
und seine Gitarre und sein Zeichenstift waren immer dabei, wenn
die Nächte zum Tag und die Partys zu Workshops wurden, aber er drängelte
sich nie nach einer Karriere, schrieb seine Lieder, sang, wenn jemand
sie hören, nahm sie auf, wenn jemand eine Platte machen wollte.
Aus vielen seiner Freunde, Sam Shepard, Holy Modal Rounders, Fugs,
wurden Berühmtheiten für fünf Minuten und länger, Hurley selbst
verkaufte derweilen Christbäume aus Vermont, braute Bier, jobbte
als Schreiner - und so ist es heute noch, auch wenn Hurley jetzt
zum ersten Mal in Deutschland auftrat, ruhig und bestimmt seine
Lieder spielte, Anekdoten dazwischenknödelte, fidelte, dem Keyboard
den Blues abnötigte.
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