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Tauscht man einige Wörter aus, Schnaps
gegen Ecstasy, Gitarre gegen Plattenspieler, 30 Leute gegen 3000,
House Frolic gegen Rave, so erhält man die Beschreibung eines beliebigen
Techno Clubs der neunziger Jahre, findet man sich auf einer Party
wieder, wo der schnelle Beat die Nacht in Sekundenbruchteile zerstückelt,
bumm, bumm, bleep, wo die Vergnügungssüchtigen einer anderen Zeit
und Welt die Realität ihrer Arbeits- und Lebenszusammenhänge zugunsten
einer dionysischen Feier hinter sich lassen. Stundenlang stehen
die DJs hinter ihren Gerätschaften, steuern die Gäste, spornen sie
an, heizen ihnen ein. Unmerklich mixen, scratchen, pitchen die Helden
der Turntables die unterschiedlichsten Tracks. Ein spezielles Rotwelsch
erleichtert die Binnenkommunikation der Initiierten bis hin zur
völligen Auflösung des Sinngehalts durch eine pure Kalligraphie
in den Druckerzeugnissen der Szene, ganz wie es einem Charlie Patton
möglich war, unerkannt und ungestraft von seinem Hang zum Kokain
zu singen, ohne daß die weißen Geschäftsleute, die seine Schellacks
vertrieben, auch nur die geringste Ahnung hatten, daß in "Spoonfull"
nicht ein hungriger Nigger auf sein Essen wartet, sondern ein ziemlich
abgebrühter Lebemann auf seinen nächsten Hit.
Und über diese Anekdote hinaus eröffnet
"Spoonfull" die Chance, das unter Popgesichtspunkten so schwer faßbare,
frei flottierende Techno-Universum in eine lineare Historienbildung
einzugliedern. Wie ein "missing link" verdeutlicht Pattons Song,
daß bereits im ersten als moderne Popmusik zu bezeichnenden Genre,
dem Country Blues aus dem Mississippi Delta, jene Elemente in Reinkultur
enthalten waren, die heute noch Techno befeuern: der elementare,
an das rein physische appellierende Beat, der Verzicht auf Melodien
als konstituierendes Element, dafür das Organisieren eines Stückes
über einen längeren Zeitraum durch das Variieren von Rhythmen, Tempi,
Klangflächen, die Reduzierung der intellektuellen Eindeutigkeit
durch Eindampfen des Textes auf Fragemente, abgebrochene Zeilen,
Kürzel, Slogans, die nach Belieben musikalisiert werden können.
Eine für Außenstehende klangliche wie rhythmische Ödnis, nur gelegentlich
durch karge Landmarken gegliedert, aufgelockert. Und dennoch, wir
wissen: Die Wüste lebt.
So wie sich heute ein Aphex Twin (Techno)
oder DJ Shadow (avancierter HipHop) nicht um Takt, Metrik oder Hörerwartung
scheren, sondern ihre brüchigen, unrunden, ja holpernden Suiten
nur der inneren Notwendigkeit des jeweiligen Stückes gehorchend
inszenieren, so verweigerte sich bereits Charlie Patton der von
der rapiden Kommerzialisierung des Blues in jenen Tagen geforderten
Eindeutigkeit der Musik als traurig, 12taktig, bestimmten harmonischen
Regeln gehorchend, sondern entfesselte Wochenende für Wochenende
ein von vielen anderen Bluesmusikern gefürchtetes Inferno des Eklektizismus,
bei dem ihm immer weniger Begleitmusiker zur Seite sitzen wollten,
da es als unmöglich galt, einem Charlie Patton zu folgen. Stellte
man "Spoonfull" mit den digitalen Musikprogrammen unseres Jahrzehnts
am Computer dar, die Ähnlichkeit zu Techno-Tracks dürfte frappant
sein.
Wie die ersten Jahrzehnte dieses Jahrhunderts
ihren DJ Bobo in Gestalt W.C. Handys hatten, so hatten sie eben
in Charlie Patton einen stilbildenden Anarchen wie es heute Shadow,
Tricky oder Aphex Twin sind, die wahren Könige der Nacht. Manche
mögen sich wundern, wieso derzeit immer häufiger Blues-Elemente
als Bestandteile von Techno-Tracks auftauchen: drei Minuten Charlie
Patton geben die Antwort. Vergleichende Musikwissenschaften: bitte
übernehmen.
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