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Die drei Doppelalben erschienen und
verkauften sich mäßig, bis Rock & Roll das Land im Sturm nahm und
immer mehr Teenager und Studenten die Musik hinter dieser Musik
erkennen wollten. In Berkeley, in Boston, im Greenwich Village entstand
das Folk Revival, die Gralssuche einer Generation junger Amerikaner,
die den Plastikgeschichten vom sauberen Leben im Wohlstand nicht
glauben konnten. Diese Folkies entdeckten die "Anthology" als ihre
Bibel, als ihr Altes Testament, lernten jedes Lied, jede Zeile nachzuspielen
und nachzusingen. Und als sie dies taten, um in der Tugendhaftigkeit
des einfachen Arbeitsmannes von einst jene fehlende Reinheit der
Herzen wiederzuentdecken, nach der es sie dürstete - explodierte
Harry Smiths psychedelische Botschaft: "Son House lebt, mit ihm
auch ich. Tod, wo sind nun deine Schrecken?"
Die toten Helden tauchten auf, einer
nach dem anderen, und jeder Harvard-Student, der hip war und sich
einen VW-Bus leisten konnte, brummte im Sommer 1960 nach Louisiana
oder Detroit oder North Carolina, um einen Überlebenden der "Anthology"
zum Newport Folk Festival nach Norden zu schleppen. Der Rest ist
Geschichte und heißt Bob Dylan. Der Rest findet sich auf einigen
zehntausend Country-, Rock-, Folk- oder Punk-Schallplatten. Kurz
vor seinem Tod konnte Harry Smith noch einen Ehren-Grammy mit den
Worten entgegennehmen: "Es freut mich, daß aus meinem Traum Wirklichkeit
wurde: Musik hat Amerika verändert." Nach fast fünfzig Jahren ist
die "Anthology of American Folk Music" als 6-CD-Box in Halbleinen,
mit opulenten Beiheften und fescher Banderole außenrum, auch in
Deutschland erschienen, gerade, als wir jede Menge Traum, Wirklichkeit
und psychedelische Botschaften brauchen können.
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