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Aber dem war nicht so, dem konnte
nicht so sein, selbst wenn man böswilligst über Menschen und Musik
herziehen wollte: Eine Wende deutete sich an, als erstmals von "homelistening"
die Rede war, also von elektronischer Musik, von Techno, von Drum'n'Bass,
die eher für den Hausgebrauch taugten, für Kontemplation, für intellektuelle
Durchdringung, Pop einmal mehr auf dem Weg zur Kunstmusik seiner
Zeit. Speziell die menschelnde Elektronik aus Köln und Düsseldorf,
die warme und freundliche Musik von Mouse on Mars, Kreidler, To
Rococo Rot, Kron, Kante oder Console brachte die Indifferenz interessanter
Popmusik aus den 90er Jahren zwar zu einem bedauernswerten Höhepunkt,
andererseits überspannte diese Musik den Bogen aber derart, daß
ein Schriftsteller/Popmusiker wie Thomas Meinecke gewissermaßen
erleichtert feststellen kann, daß man zu gewissen instrumentalen
Stücken durchaus wieder Song sagen darf.
Nun führt auch gelegentlich der von
hinten durchs Knie gewählte Weg zum Ziel, aber gottseidank verfügt
nicht jede Popnation über soviel Reflektionszwang und wählt gelegentlich
die legitime Abkürzung, all das als Quatsch zu bezeichnen, dem man
gestern noch fanatisch anhing und die Todsünden dieses Gestern zu
den Tugenden der Zukunft zu erheben.
Besonders evident wird dies an der
geradezu skrupellosen Kehrtwendung der englischen Musikzeitschrift
New Musical Express, die jahrelang einen fast schon albernen Antiamerikanismus
praktizierte und damit auch die Songform generell diffamieren wollte:
Deren Bestenliste des 98er Jahrgangs wird angeführt von "Deserter's
Song" der amerikanischen Gruppe Mercury Rev - nicht schlechter,
nicht besser als viele andere US-Rockalben der letzten Jahre - und
das erste Dutzend dieser Top Fifty wird komplettiert durch die Amerikaner
Beck, Elliott Smith, Beastie Boys, Jurassic 5, Royal Trux, Sparklehorse
und durch das französische Duo Air: bleiben bloß vier Nennungen,
um dem so lange propagierten Slogan "Buy British" folgen zu können.
Auch in Deutschland stehen die Zeichen
mit einem Mal wieder drastisch auf Song: Blumfeld - man mag von
ihrem Wortgedrechsel halten, was man will - haben es mit ihren Liedern
über die Liebe geschafft, nicht nur die Musikpresse und Feuilletons
in Aufregung zu versetzen, sondern auch auf Platz 17 der Hitparaden
einzusteigen - unerhört. Die Münchner Metarockgruppe Schwermut Forest
geht keß in die Offensive und reimt: "Und die Freunde von der Instrumentalmusik/
üben Fundamentalkritik", wobei eher ihre zugleich gelassene wie
auch aggressive CD "Sort of" eine Pop gewordene Fundamentalkritik
an der Sprachlosigkeit und emotionalen Verrohung der Kollegenschaft
darstellt. Pole alias Stefan Betke, ausgewiesener Teil der Berliner
Techno-Szene, bekundet plötzlich offensiv sein Interesse an Dub-Musik
und gesteht, daß er kein guter DJ sei, da er nicht mixen könne -
popkultureller Selbstmord noch vor einem Jahr, als Rainald Goetz
und Thomas Meinecke, jeder auf seine Art, den DJ und die technische
Fertigkeit des Mixens endgültig in den Stand der Wundertätigkeit,
wenigstens der literarischen Technik erhoben hatten.
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