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Die neue Empfindsamkeit Teil 1 : 2 : 3
Warum Pop mit Vornamen nicht mehr Iggy heißt oder Wie Postrock das Sprechen und Denken verlernte  
 

Was sind Musiker, die ihre Stücke dreiundzwanzigminuten-
undachtundfünfzigsekunden dauern lassen und diese Stücke "What Do You Say to a Man Who's Killed a Lion with His Bare Hands and is now Making Love to Your Wife?" nennen oder "In Sarah, Mencken, Christ and Beethoven There Were Women and Men"? Oder nur "C"?
     Diese Musiker sind: empfindsam. Diese Musiker sind ein Problem. Das Problem dieser Musiker ist ihre Empfindsamkeit. Em wie München. Pf wie Luft entweicht. Ind wie independent. Sam wie Uncle. Keit wie deutsche Endsilbe.
     Ein bißchen ist es wie mit der Radioaktivität klitzekleiner Partikelchen in riesengroßen Maronenschwammerln: Wie soll man die Welt von der Bedenklichkeit eines Stoffes überzeugen, den man nicht riechen, nicht sehen, nicht fühlen kann und das Trägermedium so lecker daherkommt? Nun, wir können unseren Stoff wenigstens hören: Musik. Postrock. New Rock. Hierzulande auch gerne wieder Krautrock genannt.
     Seit Techno und House, Drum'n'Bass und Big Beats die Schallwellen der Diskotheken beherrschen, die Ätherwellen der Rundfunkanstalten, selbst der Liebe und des Meeres Wellen zwischen Ibiza und Goa, und die Jugend der Welt das Wort "Gitarre" als peinlich empfindet, herrscht die blanke Not im Hause Rock: Alles deutet darauf hin, daß die Musik der ewigen Jugend zur Musik der ewig Jugendlichen degeneriert. Doch Ruhe scheint die erste Rockerpflicht: Es probiert die Internationale des Pop bereits diverse Spielchen zur Rettung der Rockmusik aus.
     Britannien hat, in alter Tradition, einen Sonderweg angetreten, der sich Britpop nennt und Mediokrität mit Chauvinismus mischt: Die Propheten dieser Armseligkeit schreiben für den New Musical Express, jene in den 80er Jahren für ihre Parteilichkeit und Weltläufigkeit geliebte und für ihre Arroganz gefürchtete Publikation, die heute nur noch gelten läßt, was "Made in Britain" auf die Stirn tätowiert hat, während Mahner wie Daniel Miller, Chef von Mute Records und damit Herr über alle Depeche-Mode-Platten und Nick-Cave-CDs, die einen Unterschied machen zwischen der Welt und dem Getto der britischen Musikpresse, eher belächelt werden.
     In Deutschland lügt man sich eine glorreiche Pop-Vergangenheit zusammen, sucht auf dem Flohmarkt nach Eloy- oder Wallenstein-LPs und macht - genau! - empfindsame Musik, deren Sprachlosigkeit als Errungenschaft und deren Gefühlskälte als Pluspunkt gehandelt werden.
     Selbst im Nabel der Pop-Welt, in den USA, weiß man rockmäßig nicht recht weiter, daher sammeln sich immer häufiger die fusseligen Feingeister unter den Musikern und rufen Projekte aus, die "New Directions in Music" heißen, karg und schlicht die Nachnamen der Beteiligten tragen oder mit Bezeichnungen belegt werden, die nickelbebrillte Gründlichkeit und Ernsthaftigkeit suggerieren, aber keinesfalls mehr wie weiland Sex und Drogen und eine dummerweise entsicherte Knarre an der Schläfe: Isotope 217, Eight Frozen Modules oder DKV Trio, gern beim Chicagoer Label Thrill Jockey angesiedelt, das postrockwendend den deutschen Gesinnungsgenossen Mouse on Mars oder Oval eine US-Heimat bietet, oder hierzulande beim verdienstvollen Indie City Slang.

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