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Die neue Empfindsamkeit (Fortsetzung) Teil 1 : 2 : 3
 

     Die Fragen, die diese als Empfindsamkeit getarnte Selbstsucht aufwirft, sind doch: Warum Rätseln nachgehen und sich eigene Wunder ausdenken? Warum semantische Probleme lösen? Warum Worte finden für die Millionen Arbeitslosen, die Verelendung der Zivilisationen im Osten, den Raubbau an den Menschen der 3. Welt, und was auf "Liebe" reimen, wenn es genügt, lasche Instrumentalversatzstücke zu vorgeblich empfindsamen, "tiefen" Stücken zusammenzupfriemeln und dies als Kommentar zur Gegenwart zu bezeichnen, als frei gewählte Sprachlosigkeit? Warum Stellung beziehen, warum auch politisch Verantwortung übernehmen und sich dem Gemeinwohl verpflichtet fühlen, wenn ich gerade mal drei Tage lang schlechte Laune habe? Ich, ich, ich.
     Verblüffend, wie widerstandslos sich die ältere Generationen der Pop-Journaille sich qua Definitionshoheit der Jugend jene schwachköpfige Argumentation hat aufzwingen lassen, wonach die Snowboarder-Faulheit der zu Recht "Kids" genannten Kids zum Synonym für Sensibilität und Empfindsamkeit in den 90er Jahren wird und jeder Kritiker dieser Schlaffheit zum alten Sack, zum 68er, als sei die biologische Zugehörigkeit zu dieser zugegeben gelegentlich schwer zu ertragenden Sorte Mittfünfziger gleichbedeutend mit einem unheilbaren Tripper. Aber nachdem jedes Feuilleton, jedes Fanzine diese Kröte geschluckt hat - "Gott, sie sprechen nicht mit uns!" - rutscht es sich für die tonangebenden Mittzwanziger in ihrer geistigen Halfpipe gemächlich zu Tal, wo 5 Millionen Arbeitslose sich doch endlich Aktien kaufen sollten, damit sie in den Genuß des Shareholder Values gelangen können.
     Um die eigentlich grandiosen Errungenschaften von Bands wie Tortoise oder Gastr del Sol noch würdigen zu können, braucht es heute schon einiges an Abstraktionsvermögen: sonst verwechselt man noch die Originale mit ihren empfindsamen Kopien. Denn nicht die Musik ist schlecht: ihre Instrumentalisierung ist es, ihr läppischer Einsatz als Tarnung für soziale Legasthenie.
     Aber die Musiker gehen eigene Wege: David Grubbs und Jim O´Rourke von Gastr del Sol haben sich eben getrennt; Grubbs soll sich eingehend mit der Harry-Smith-Anthologie zur amerikanischen Folkmusik beschäftigen, also Wort-Magie und Politik abzugleichen. Die Zeit des Postrocks scheint nicht ewig zu dauern, auch wenn es erfahrungsgemäß jetzt erst einmal so richtig losgehen wird mit den Empfindsamen und Empfindlichen: nicht so laut, nicht so schnell, nicht so ernst. Sonst wird die Milch im Capuccino sauer.

 

 

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