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Die Fragen, die diese als Empfindsamkeit
getarnte Selbstsucht aufwirft, sind doch: Warum Rätseln nachgehen
und sich eigene Wunder ausdenken? Warum semantische Probleme lösen?
Warum Worte finden für die Millionen Arbeitslosen, die Verelendung
der Zivilisationen im Osten, den Raubbau an den Menschen der 3.
Welt, und was auf "Liebe" reimen, wenn es genügt, lasche Instrumentalversatzstücke
zu vorgeblich empfindsamen, "tiefen" Stücken zusammenzupfriemeln
und dies als Kommentar zur Gegenwart zu bezeichnen, als frei gewählte
Sprachlosigkeit? Warum Stellung beziehen, warum auch politisch Verantwortung
übernehmen und sich dem Gemeinwohl verpflichtet fühlen, wenn ich
gerade mal drei Tage lang schlechte Laune habe? Ich, ich, ich.
Verblüffend, wie widerstandslos sich
die ältere Generationen der Pop-Journaille sich qua Definitionshoheit
der Jugend jene schwachköpfige Argumentation hat aufzwingen lassen,
wonach die Snowboarder-Faulheit der zu Recht "Kids" genannten Kids
zum Synonym für Sensibilität und Empfindsamkeit in den 90er Jahren
wird und jeder Kritiker dieser Schlaffheit zum alten Sack, zum 68er,
als sei die biologische Zugehörigkeit zu dieser zugegeben gelegentlich
schwer zu ertragenden Sorte Mittfünfziger gleichbedeutend mit einem
unheilbaren Tripper. Aber nachdem jedes Feuilleton, jedes Fanzine
diese Kröte geschluckt hat - "Gott, sie sprechen nicht mit uns!"
- rutscht es sich für die tonangebenden Mittzwanziger in ihrer geistigen
Halfpipe gemächlich zu Tal, wo 5 Millionen Arbeitslose sich doch
endlich Aktien kaufen sollten, damit sie in den Genuß des Shareholder
Values gelangen können.
Um die eigentlich grandiosen Errungenschaften
von Bands wie Tortoise oder Gastr del Sol noch würdigen zu können,
braucht es heute schon einiges an Abstraktionsvermögen: sonst verwechselt
man noch die Originale mit ihren empfindsamen Kopien. Denn nicht
die Musik ist schlecht: ihre Instrumentalisierung ist es, ihr läppischer
Einsatz als Tarnung für soziale Legasthenie.
Aber die Musiker gehen eigene Wege:
David Grubbs und Jim O´Rourke von Gastr del Sol haben sich eben
getrennt; Grubbs soll sich eingehend mit der Harry-Smith-Anthologie
zur amerikanischen Folkmusik beschäftigen, also Wort-Magie und Politik
abzugleichen. Die Zeit des Postrocks scheint nicht ewig zu dauern,
auch wenn es erfahrungsgemäß jetzt erst einmal so richtig losgehen
wird mit den Empfindsamen und Empfindlichen: nicht so laut, nicht
so schnell, nicht so ernst. Sonst wird die Milch im Capuccino sauer.
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