|  | "Florence habe ich das erste Mal am 9. Mai 1996 gesehen, in der 
              Pravda Bar, irgendwo in Manhattans Soho-Gegend. Sie war im fünften 
              Monat schwanger und unverheiratete. Ich habe mich auf der Stelle 
              in sie verliebt, und wir verbrachten eine kostbare Woche zusammen, 
              bis sie schließlich in ihre Heimat zurückkehrte, einen Ort nördlich 
              von Paris. Die Lieder, die sie nun hören werden, sind alle inspiriert 
              durch unsere Beziehung während dieser erstaunlichen Tage." Das steht 
              einfach so da auf der Innenseite der CD, ungeschützt, ein bißchen 
              hilflos, tapfer auch und ein wenig peinlich, genau wie die Schnappschüsse 
              von Florence und dem Sänger, die ungelenk das Booklet zieren, gemacht 
              von Passantenhand, Standbein, Spielbein: "Könnten Sie mal bitte..? 
              Danke."Der Sänger heißt James. Sein Bruder 
              Barry ist ein weltberühmter Geologe, der die theoretischen Vorarbeiten 
              geleistet hat, mit denen der Ausbruch des Mt. St.Helen vorausgesagt 
              werden konnte. Und Bruder Jon ist ein arrivierter Hollywood-Schauspieler, 
              mal an der Seite von Jane Fonda, mal mit Tom Cruise im Kino zu bewundern. 
              "Mein Name ist Voight. James Voight." Aber alle müssen ihn Chip 
              Taylor nennen: So muß ein Name wohl klingen, kumpelhaft, bodenständig, 
              leicht zu buchstabieren, wenn man Countrymusik machen will. Dave 
              Dudley, wrumms. Noch ein Dosenbier. Judy Lynn, pling. Neben den 
              Spucknapf. Komplizierte Namen aber wie Dwight Yoakam: klar, keine 
              Chance. Torfgesicht. Weichei.
 Womit wir wieder bei Chip Taylor wären: 
              Sein etwas teigiges Äußeres teilt er mit Schauspieler-Bruder Jon, 
              aber hinter den Hamsterbacken und der Entenschnabelnase scheint 
              ein knallharter, kühl kalkulierender Verstand zu arbeiten: Lange 
              Jahre hat Chip Taylor überhaupt nicht mehr aufgenommen, hat er keine 
              Songs mehr geschrieben, sondern sein Geld als Spieler in Atlantic 
              City verdient, als erfolgreicher Kartenzähler beim Black Jack verhaßt 
              in jedem Casino, auf den Rennbahnen eine Legende, die einmal sechs 
              Sieger hintereinander richtig getippt hat. "Um ein erfolgreicher 
              Spieler zu sein, muß man viel Zeit investieren, jeden Tag viele 
              Stunden lang trainieren. Drei, vier Stunden habe ich allein die 
              Rennzeitschriften studiert, um an das Wissen zu gelangen, auf dessen 
              Basis man bei Pferderennen lohnende Investitionen tätigen kann." 
              Außerdem erzählen Spieler wohl nur ihre Erfolgsgeschichten weiter; 
              die Agonie des Verlierens und die Demütigung durch Würfel oder Karten 
              verschweigen sie lieber.
 Und der professionell arbeitende Verstand, 
              der geradezu formelhafte Arbeitsstil eines berufsmäßigen Zockers 
              hilft einem auch, Herz auf Schmerz zu reimen und sich als New Yorker 
              in der Musikszene von Nashville durchzusetzen: Chip Taylor, obwohl 
              kaum einer den Namen und das Gesicht kennt, ist einer der erfolgreichsten 
              Songwriter auf diesem Planeten.
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