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Die neue Welle rauscht (Fortsetzung) Teil 1 : 2 : 3
 

     In den achtziger Jahren hat sich ein Modell durchgesetzt, das ich als Jesse-James-Modell bezeichnen möchte: Rein in die Bank, zweimal in die Decke geschossen, Tresor leer räumen, raus aus der Bank und weg. Soll heißen: Hatte eine Band erst einmal unter Beweis gestellt, daß sie bei sogenannten unabhängigen Plattenfirmen für Umsatz sorgen konnte, unterschrieb sie einen möglichst lukrativen und völlige künstlerische Freiheit garantierenden Vertrag bei einem Großkonzern, ließ keine publizistische Chance ungenützt, um zu demonstrieren, daß man denen einen Haufen Geld unter gewaltigem Getöse abgenommen hat, aber trotzdem ein Outlaw geblieben sei, der nun von seinem gesetzlosen Gelärme bestens leben könne. Leider endete an dieser Stelle meistens der Masterplan. Und beim zweiten oder dritten Überfall, sprich CD-Veröffentlichung, platzte die Seifenblase: Bands zerbrachen, Verträge wurden nicht verlängert, die Musik wurde reproduzierter Mist. Und der eine oder andere hat sich wieder das Gehirn weggepustet. Wie im wilden Westen.
     Übrig geblieben von diesem in den einschlägigen Zeitschriften bereits als "Sieg von Punkrock" gefeierten Desaster der Rockmusik sind willfährige Simulationen von Rockmusikern, Punkrockern, Bands, die mit ihrer Designer-Dissidenz auf Viva und MTV feilgeboten werden: R.E.M., Stone Temple Pilots, Pearl Jam, Belly, Monster Magnet, Red Hot Chili Peppers. Die Liste der zu beleidigenden Bands ist so lang, daß man fast zu der Überzeugung kommen könnte, die Fälschungen seien das Original, hätten durch ihre bloße Omnipräsenz recht und der Kritiker zu schweigen. Die Korruptheit des Gesehenen und Gehörten offenbart sich oft nur noch auf einer emphatischen Ebene, da objektivierbare Kriterien "guter" Pop- oder Rockmusik perfekt nachgeahmt werden.
     Daß es immer noch Hoffnung in der Hoffnungslosigkeit gibt, ist eine der pathetischen Grundbotschaften der Popmusik, die sich aus ihrer Herkunft aus der Teenager-Musik der fünfziger Jahre erklärt. Und wenn die Korruption am größten, scheint auch die Rettung am nächsten, was nie etwas anderes heißt wie Aufschub, Gnadenfrist, Intermezzo.
     Seit geraumer Zeit formiert sich weltweit ein popmusikalischer Trend, der als Low-fi (im Gegensatz zum Hi-fi-Aufwand popmusikalischer Großproduktionen im 64-Spur-Studio) zumindest einen ersten Namen hat. Der Johannes der Täufer der neuen Entwicklung heißt Beck und hat mit seinem ersten Hit "Looser" unter Beweis gestellt, daß Low-fi durchaus mehrheitsfähig sein könnte, wenn es denn gehört wird. Auf einen Messias wird noch gewartet.
     Low-fi-Produktionen haben mehrere äußerliche Gemeinsamkeiten: Intensität und Faszination des Augenblicks werden höher bewertet als fehlerlose Reproduktion: ein falsch gespielter Ton, eine vergessene Textzeile, Bandrauschen oder Abschaltknacksen werden quasi als Stilmittel zugelassen, solange nur der Song den Absichten seiner Macher entspricht. Die Aufnahmetechnologie ist billigst; die Instrumentierung karg: oft reicht eine akustische Gitarre, ein Blechnapf, das Rauschen des Windes in den Bäumen. Vertrieben wird die Musik durch jeden zugänglichen Kanal, ob handzusammengestellte Cassetten-Kopie oder Lizenzvertrag mit einem Großunternehmen. Dazu kommt häufig eine die Unmittelbarkeit der Musik unterstreichende Covergestaltung: spontane Zeichnungen, lieber noch Schnappschüsse aus dem Alltag, verwackelte Polaroids.

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