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In den achtziger Jahren hat sich
ein Modell durchgesetzt, das ich als Jesse-James-Modell bezeichnen
möchte: Rein in die Bank, zweimal in die Decke geschossen, Tresor
leer räumen, raus aus der Bank und weg. Soll heißen: Hatte eine
Band erst einmal unter Beweis gestellt, daß sie bei sogenannten
unabhängigen Plattenfirmen für Umsatz sorgen konnte, unterschrieb
sie einen möglichst lukrativen und völlige künstlerische Freiheit
garantierenden Vertrag bei einem Großkonzern, ließ keine publizistische
Chance ungenützt, um zu demonstrieren, daß man denen einen Haufen
Geld unter gewaltigem Getöse abgenommen hat, aber trotzdem ein Outlaw
geblieben sei, der nun von seinem gesetzlosen Gelärme bestens leben
könne. Leider endete an dieser Stelle meistens der Masterplan. Und
beim zweiten oder dritten Überfall, sprich CD-Veröffentlichung,
platzte die Seifenblase: Bands zerbrachen, Verträge wurden nicht
verlängert, die Musik wurde reproduzierter Mist. Und der eine oder
andere hat sich wieder das Gehirn weggepustet. Wie im wilden Westen.
Übrig geblieben von diesem in den
einschlägigen Zeitschriften bereits als "Sieg von Punkrock" gefeierten
Desaster der Rockmusik sind willfährige Simulationen von Rockmusikern,
Punkrockern, Bands, die mit ihrer Designer-Dissidenz auf Viva und
MTV feilgeboten werden: R.E.M., Stone Temple Pilots, Pearl Jam,
Belly, Monster Magnet, Red Hot Chili Peppers. Die Liste der zu beleidigenden
Bands ist so lang, daß man fast zu der Überzeugung kommen könnte,
die Fälschungen seien das Original, hätten durch ihre bloße Omnipräsenz
recht und der Kritiker zu schweigen. Die Korruptheit des Gesehenen
und Gehörten offenbart sich oft nur noch auf einer emphatischen
Ebene, da objektivierbare Kriterien "guter" Pop- oder Rockmusik
perfekt nachgeahmt werden.
Daß es immer noch Hoffnung in der
Hoffnungslosigkeit gibt, ist eine der pathetischen Grundbotschaften
der Popmusik, die sich aus ihrer Herkunft aus der Teenager-Musik
der fünfziger Jahre erklärt. Und wenn die Korruption am größten,
scheint auch die Rettung am nächsten, was nie etwas anderes heißt
wie Aufschub, Gnadenfrist, Intermezzo.
Seit geraumer Zeit formiert sich weltweit
ein popmusikalischer Trend, der als Low-fi (im Gegensatz zum Hi-fi-Aufwand
popmusikalischer Großproduktionen im 64-Spur-Studio) zumindest einen
ersten Namen hat. Der Johannes der Täufer der neuen Entwicklung
heißt Beck und hat mit seinem ersten Hit "Looser" unter Beweis gestellt,
daß Low-fi durchaus mehrheitsfähig sein könnte, wenn es denn gehört
wird. Auf einen Messias wird noch gewartet.
Low-fi-Produktionen haben mehrere
äußerliche Gemeinsamkeiten: Intensität und Faszination des Augenblicks
werden höher bewertet als fehlerlose Reproduktion: ein falsch gespielter
Ton, eine vergessene Textzeile, Bandrauschen oder Abschaltknacksen
werden quasi als Stilmittel zugelassen, solange nur der Song den
Absichten seiner Macher entspricht. Die Aufnahmetechnologie ist
billigst; die Instrumentierung karg: oft reicht eine akustische
Gitarre, ein Blechnapf, das Rauschen des Windes in den Bäumen. Vertrieben
wird die Musik durch jeden zugänglichen Kanal, ob handzusammengestellte
Cassetten-Kopie oder Lizenzvertrag mit einem Großunternehmen. Dazu
kommt häufig eine die Unmittelbarkeit der Musik unterstreichende
Covergestaltung: spontane Zeichnungen, lieber noch Schnappschüsse
aus dem Alltag, verwackelte Polaroids.
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