|
Diese Statistik des Grauens, Fleisch
geworden, verwesendes Fleisch geworden in der Person 2Pac Shakurs,
ermöglicht jenseits jeder Entschuldbarkeit wenigstens eine Art Verstehen,
warum sich dieser aufgeblasene, jetzt von Faulgasen aufgeblähte
Gangsta herausnimmt, den Grundkonsens seines Landes, jede demokratische
Übereinkunft, jede gesellschaftliche Vereinbarung aufzukündigen,
um höchstselbst in seinem Lebensraum Richter und Henker, Kläger
und Angeklagter zu sein, den "allein Gott aburteilen mag", wie es
in einem Song heißt. Wenn keine der Gratifikationen greift, die
ein Staat seinen Gliedern im souveränen Tausch für einen Teil der
im antisozialen Urzustand natürlich scheinenden Rechte anbietet,
wenn Recht und Ordnung, Gerechtigkeit und Unparteilichkeit eine
immerwährende Farce darstellen, wenn nicht in der gesellschaftlichen
Praxis, nicht in Bildung und Beruf auch nur der Hauch einer Chance
zur Einlösung dieser theoretischen Versprechen des Leviathans bestehen,
dann nimmt sich der Wolf, was des Wolfes ist. Bis er an einen stärkeren
Wolf gerät, im Falle 2Pac Shakurs angeblich an einen Rivalen von
der Ostküste, den er in einem Song verhöhnt hatte.
Pop bediente sich seit jeher bestimmter
Kommunikationsformen politisch und sozial, rassisch oder ideologisch
marginalisierter Gesellschaftsgruppen, um die eigene Entfernung
vom gesellschaftlichen Hauptstrom besser kenntlich machen zu können.
Wörter, Zeichen, Klänge werden im Reich des meist weißen und aus
der Mittelschicht stammenden Popspielers getestet und neu codiert.
Zumindest ästhetisch findet dabei gerne eine Annäherung an die originären
Produzenten der kulturellen Leihgaben statt, an die Schwarzen Amerikas,
den White Trash im Süden der USA, die Rastas auf Jamaika, wen auch
immer. Umgekehrt kann die distanzierte Betrachtung dieses Aneignungsvorganges
auch ziemlich genau die Entfernung angeben, die das vampyrische
Zentrum von seinem Nachschub an der geographischen und gesellschaftlichen
Peripherie trennt.
Ein Zufall, der keiner ist: Die aus
Kanada stammende, in Kalifornien lebende First Lady der Singer/Songwriter
Joni Mitchell hat eine Werkschau veröffentlichen lassen, just als
2Pacs Leben ausgeknipst wurde. Eine CD heißt "Hits", eine "Misses",
eine präsentiert also die Erfolge, die andere kokettiert mit angeblichen
Fehlschlägen. Nun heißt "Hit" aber auch Treffer, der Hit Man ist
der bezahlte Killer; "Misses" sind die Fehlschüsse. Was lag im wahrsten
Wortsinn für Joni Mitchell näher, als sich für die optische Verpackung
ihrer sensiblen, feinnervigen, einfühlsamen und feminin-libertären
Lieder auf eine beliebige Straße zu legen und ihren Körper mit weißen
Kreidestrichen zu umgeben, wie das die Polizei bei Unfall- und Mordopfern
macht. Ein gelungenes Wortspiel, ein Scherz, erfrischende Ironie
- für eine selbstbewußte Dame weißer Hautfarbe.
|
Weiter
>>
|