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Nur Gott darf mich richten (Fortsetzung) Teil 1 : 2 : 3
 

     Diese Statistik des Grauens, Fleisch geworden, verwesendes Fleisch geworden in der Person 2Pac Shakurs, ermöglicht jenseits jeder Entschuldbarkeit wenigstens eine Art Verstehen, warum sich dieser aufgeblasene, jetzt von Faulgasen aufgeblähte Gangsta herausnimmt, den Grundkonsens seines Landes, jede demokratische Übereinkunft, jede gesellschaftliche Vereinbarung aufzukündigen, um höchstselbst in seinem Lebensraum Richter und Henker, Kläger und Angeklagter zu sein, den "allein Gott aburteilen mag", wie es in einem Song heißt. Wenn keine der Gratifikationen greift, die ein Staat seinen Gliedern im souveränen Tausch für einen Teil der im antisozialen Urzustand natürlich scheinenden Rechte anbietet, wenn Recht und Ordnung, Gerechtigkeit und Unparteilichkeit eine immerwährende Farce darstellen, wenn nicht in der gesellschaftlichen Praxis, nicht in Bildung und Beruf auch nur der Hauch einer Chance zur Einlösung dieser theoretischen Versprechen des Leviathans bestehen, dann nimmt sich der Wolf, was des Wolfes ist. Bis er an einen stärkeren Wolf gerät, im Falle 2Pac Shakurs angeblich an einen Rivalen von der Ostküste, den er in einem Song verhöhnt hatte.
     Pop bediente sich seit jeher bestimmter Kommunikationsformen politisch und sozial, rassisch oder ideologisch marginalisierter Gesellschaftsgruppen, um die eigene Entfernung vom gesellschaftlichen Hauptstrom besser kenntlich machen zu können. Wörter, Zeichen, Klänge werden im Reich des meist weißen und aus der Mittelschicht stammenden Popspielers getestet und neu codiert. Zumindest ästhetisch findet dabei gerne eine Annäherung an die originären Produzenten der kulturellen Leihgaben statt, an die Schwarzen Amerikas, den White Trash im Süden der USA, die Rastas auf Jamaika, wen auch immer. Umgekehrt kann die distanzierte Betrachtung dieses Aneignungsvorganges auch ziemlich genau die Entfernung angeben, die das vampyrische Zentrum von seinem Nachschub an der geographischen und gesellschaftlichen Peripherie trennt.
     Ein Zufall, der keiner ist: Die aus Kanada stammende, in Kalifornien lebende First Lady der Singer/Songwriter Joni Mitchell hat eine Werkschau veröffentlichen lassen, just als 2Pacs Leben ausgeknipst wurde. Eine CD heißt "Hits", eine "Misses", eine präsentiert also die Erfolge, die andere kokettiert mit angeblichen Fehlschlägen. Nun heißt "Hit" aber auch Treffer, der Hit Man ist der bezahlte Killer; "Misses" sind die Fehlschüsse. Was lag im wahrsten Wortsinn für Joni Mitchell näher, als sich für die optische Verpackung ihrer sensiblen, feinnervigen, einfühlsamen und feminin-libertären Lieder auf eine beliebige Straße zu legen und ihren Körper mit weißen Kreidestrichen zu umgeben, wie das die Polizei bei Unfall- und Mordopfern macht. Ein gelungenes Wortspiel, ein Scherz, erfrischende Ironie - für eine selbstbewußte Dame weißer Hautfarbe.

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