Musikmeldungen aktuellMusikstromKolumnenSoundcheckPopalphabetGastbeiträgeWeblinksKontaktinfo
Home
Übersicht Manuskripte
Charlie Patton Teil 1 : 2 : 3 : 4
24.7.96  
 

Am Anfang war das Wort. Und das Wort war Blues. Niemand weiß zu sagen, ab wann Blues war, aber es wird wohl so um die Jahrhundertwende gewesen sein. Blues hatte viele Väter und Mütter, die "field holler" der schwarzen Plantagenarbeiter, gerade erst von der Sklaverei befreit und in die Lohnknechtschaft gezwungen, italienische Einwanderer und deren Musik, die irischen und schottischen und englischen Balladen und Volkslieder, mit denen schwarze Hausbedienstete ihre weiße Herrschaft erfreuen mußten, die sexuell eindeutig zweideutigen Gesänge der Minstrel Shows, also Persiflagen auf schwarze Musik, die wiederum von schwarzen Musikern übernommen wurden, und ganz besonders die Gesangsbücher der verschiedenen protestantischen Kirchen, deren Hymnen die gerade eben als Menschenkinder eingestuften Neger einem gnädigen und farbenblinden Gott zuführen sollten. Sobald die neue Musik des schwarzen Südens sich zu formen begann, waren da auch schon die Verwerter dieser neuen Töne, allen voran W.C. Handy. Seine Arrangements, seine notierte Musik, seine Formeln wurden im Lauf der Jahre ihres Erfolges wegen zum Standard des Blues, die 12 Takte, zum Teil die Instrumentierung, die Legende vom Blues als trauriger Musik, all das war Handy, all das vernichtete, diskriminierte die urwüchsigeren Formen, drängte sie zurück in die ländlichen Gegenden, während das Plagiat, die Nachdichtung immer mehr Gefallen auch beim weißen Publikum fand, bevor sich Originale wie Blind Lemon Jefferson oder Bessie Smith durchsetzen konnten.
     Aber der Blues hatte auch einen ersten legitimen Sohn, einen, der sich selbst und seine Musik erfand, den ersten Underground-Star und Gitarrenhelden der Welt: Charlie Patton. Wenn W.C. Handy Paul McCartney war, um eine Analogbildung mit den sechziger Jahren vorzunehmen, dann war Charlie Patton Jimi Hendrix. Patton entwickelte in der auch musikalischen Rückständigkeit des Mississippi-Deltas einen völlig eigenen Stil, reizte die Möglichkeiten seines Instruments aus, überbot seine musikalische Präsenz durch Kunststücke wie Hinter-dem-Rücken-, Mit-den-Zähnen-, Über-dem-Kopf- oder Zwischen-den-Beinen-Spielen, trieb seine Nachahmer zur Verzweiflung, weil seine ebenso komplizierte wie eingängige Musik nicht zu kopieren war und ist, und schließlich hatte er gegen Ende seines Lebens dank zahlreicher Schellacks auch noch überregionalen Erfolg. Hier ein Titel mit eindeutig weißen Wurzeln...
     Vermutlich wurde Charlie Patton 1891 in der Nähe der Stadt Bolton geboren. Die Eltern waren Pächter auf wechselnden Großplantagen, die je nach Lohn im Land herumzogen, ein Jahr hier, ein Jahr dort ihre Parzellen bestellten, um das wenige, das sie verdienten, in den Läden der jeweiligen Landsitze wieder auszugeben: eine modifizierte, den Bedürfnissen des modernen Kapitalismus besser angepaßte Form der Sklaverei. Einer der wenigen Auswege aus einem Leben voller Plackerei war die Musik: Solisten oder String Bands konnten in den weniger arbeitsintensiven Monaten auf Plantagenfesten, bei Parties der weißen Herrschaft oder auf Tanzveranstaltungen in den wenigen Dörfern und Städten durchaus ordentlich dazuverdienen - so machte es beispielsweise die Chatmon Familie, aus der die Mississippi Sheiks hervorgehen sollten und zu denen Charlie Patton in einem freundschaftlichen, aber nicht, wie es manchmal heißt, verwandtschaftlichen Verhältnis stand.

SHAKE IT AND BREAK IT

 

 

 

 

 

 

Weiter >>

 

Musikmeldungen aktuell | Musikstrom | Kolumnen | Soundcheck | Popalphabet | Gastbeiträge | Weblinks | Kontakt