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Pere Ubu Teil 1 : 2 : 3 : 4 : 5
27.11.96, 18.12.96 und 22.1.97  
 

Cleveland, Ohio: Eine Industriestadt. Stahlwerke, Rüstungsfabriken, Lastkähne, die den Fluß hinauf fahren. Erzschütten. Krach, Lärm, Gestank, seltsame Lichtspiele am Nachthimmel, Dosenbier, Männerschweiß. Mittendrin eine Gruppe von vielleicht fünfzig Menschen, die mehr wollen, etwas anderes, und trotzdem lieben, was sie umgibt. Intelligente Spinner, die nicht aufs College fliehen, die windige Jobs annehmen, um möglichst viel zusammen abhängen zu können, die Musik machen, Hippies hassen. Sie und Gleichgesinnte in den Nachbarstädten werden Bands gründen, die Devo heißen, Tin Huey, Dead Boys, DNA, Bizzaros oder Pere Ubu; sie werden sich auf dem Weg dorthin durch ein Dutzend anderer Projekte rocken, fiepen, orgeln, quäken. Sie werden ein Haufen hoffnungsloser Scheißer sein mit einer neuen, zeitgemäßen Form des SUMMERTIME BLUES, die mit der Eddie-Cochran-Hymne soviel zu tun haben wird wie ein explodierendes Space Shuttle mit dem Sputnik...
     Zwischen 1972 und 1975 formierte sich diese seltsame Gruppe junger Menschen. Sie hatten verschiedene Treffpunkte, einen Plattenladen, einen Club am Fluß, der sie Donnerstags auftreten ließ und das Plaza an der 23. Straße, das einem gewissen Allen Ravenstein gehörte, wo man proben, abhängen, Feste organisieren konnte. Ein Fixpunkt der Szene war ein dicker, großer Kerl mit einer Afrofrisur namens David Thomas, der als Rausschmeißer in einer Bar jobbte und ein Doppelleben als Crocus Behemoth führte: Seine Band nannte sich Rocket from the Tombs. 1975 war es mit ihr zu Ende. Ihren letzten Auftritt spielte die Rocket im Juni auf einem Hardrockfestival.
     Im Herbst war es vorbei: Crocus oder David wollte allerdings die Rocket-Musik retten, aufzeichnen, verewigen. Dazu bestellte er seinen Gitarristen Peter Laughner in den Übungsraum, den Stahlarbeiter Tom Herman, den Soundman Tim Wright, der Baß lernen mußte, Allen Ravenstein, weil der einen analogen Synthesizer hatte, und den Allzweckschlagzeuger Scott Krauss. Man übte. Man diskutierte. Man nannte sich Pere Ubu nach Alfred Jarrys Prä-Surrealismus-Klassiker, weil "höchstwahrscheinlich niemand etwas mit dem Namen anfangen konnte". Man gründete das Label Hearthan und veröffentlichte eine klassische Single nach der anderen: FINAL SOLUTION, 30 SECONDS OVER TOKYO, STREET WAVES, THE MODERN DANCE. Allen Ravenstein stieg mal aus, mal ein; Tim Wright zog nach New York und gründete DNA mit Ikue Mori und Arto Lindsay. Punkrocker Peter Laughner wurde gefeuert; seine Heroin- und Streitsucht führten ihn noch durch einige Bands zum frühen Tod mit 24, der laut Lester Bangs eintrat, "weil er wie Lou Reed sein wollte". Für Pere Ubu folgten erste frustrierende Gigs in New York, die mit Coverversionen von Dylan über Stooges bis Seeds angereichert wurden, Samplerbeiträge und die allwöchentlichen, heute legendären Konzerte in der Pirate's Cove zu Cleveland. Ein Augenzeuge: "Es stimmt schon; Pere Ubu spielten Volksmusik. Es war die Volksmusik eines seltsamen Stammes mit vielleicht 50 Mitgliedern. Sie waren allein, isoliert. Sie liebten ihr Land, das eine Stadt war. Nur verschwanden deren Einwohner bei Einbruch der Dunkelheit; sie wurde zu einer versunkenen Welt voller leerer Brücken, Häuser und Denkmäler, die in einer fremden Sprache die vergessenen Träume der Väter flüsterten. Das alles war zu stark für uns. Oder wir waren zu jung."

FINAL SOLUTION

 

 

 

 

Rocket from the Tombs
30 SECONDS OVER TOKYO

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

HEAVEN

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