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Die großen weißen amerikanischen Musiker der zwanziger
und dreißiger Jahre waren farbenblind: Das fällt leicht, wenn man
selbst die richtige Hautfarbe hat. Von Bix Beiderbecke bis Glenn Miller
hörten sie die schwarze Musik und adaptierten den Sound für ein all-american
Massenpublikum. Doch ihre Leistungen überstrahlt eine Stimme, black,
brown and blue, die einer schwarzen Sängerin gehört, deren Aufnahmen
in einer idealen Plattensammlung nicht fehlen dürfen: Ihre Stimme
schweres Parfüm, verhangener Glanz, Todesahnung, die reine Dekadenz
als Überlebensmittel - Billie Holiday. Drei Jahrzehnte umfaßte
ihre Karriere, begann im Bordell, endete 1959 in einem Krankenhaus,
wo sie als Heroinsüchtige verenden mußte - ein Mahnmal für ihre brothers
and sisters, daß nicht einmal für viel Geld ein angemessener Platz
in einer rassistischen Gesellschaft zu haben ist. Ihre Aufnahmen künden
von strahlender Jugend und Schönheit, von Lebens- und Liebesleid,
und sie reichen bis zur brechenden Stimme einer Todkranken.
Immer neue Zusammenstellungen mit ihrer
Musik gelangen in die Läden, billig, oft sogar schlecht aufgemacht,
aber trotzdem, trotzdem so wertvoll, sieben LPs für Neunneunzig -
immer zugreifen, ob sie nun 'Lady Sings the Blues' heißen oder 'Lady
Day': Doubletten weiterverschenken, unbekannte Aufnahmen eingliedern
in den Schrein für Billie Holiday. Vielleicht ist ja gerade dieser
billige und trashige Umgang mit ihren Aufnahmen dem editorischen Ansatz
wohlmeinender Session-Buchhalter und der pseudopietätsvollen Haltung
ihrer letzten Plattenfirma vorzuziehen, die uns etwa auf 'Last Recording'
auch noch ihr langsames Sterben zu Gehör bringen muß. |
Genrecheck:
Urbaner
Blues
9
BILLIE HOLIDAY
'Lady Day' (1986)
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