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Zehn Jahre reichen, um in der Popmusik vom Underground-Säugling
zum boring old fart zu reifen: Inzwischen tanzt eine Generation, für
die war Techno immer schon da. Und Rockmusik fand irgendwie im vorigen
Jahrhundert statt, als Opa um die Oma freite und das Bier noch dunkel
war. Nur die Allerneugierigsten scheinen einen kleinen Blick zurück
riskieren zu wollen: Es werden dann ein, zwei Sekunden Jimi Hendrix
gesampelt oder eine steinalte Textzeile von den Stooges zitiert.
Bald herrscht wieder Schweigen. Dabei, natürlich, hat auch Techno
seine Vor-Geschichte - und die geht über die gebetsmühlenhafte Verquickung
von deutschen Kraftwerk-Einflüssen und amerikanischem Schwulendisco-Know-how
weit hinaus und eint im Rückblick Sonderlinge aus fünf Kontinenten
unter dem Banner Techno.
Eine frühe Schnittstelle zwischen Industrial-Lärm
und aufgeklärter Popmusik war die Musik der englischen Gruppe This
Heat. Die lakonische Technizität ihrer ersten LP, die elektronische,
rockistische und bei Dub-Reggae entlehnte Elemente kombinierte, übertrifft
selbst die Pionierleistungen von Throbbing Gristle, weil die
Musik von This Heat ohne außermusikalische Referenzpunkte wie
Humor, Homosexualität oder Kunst-Szene auskam. Die Stücke hießen 'Testcard',
'Water' oder 'Rainforest' wirken wie der musikalische Zwillingsbruder
von Coppolas Film 'Apocalypse Now': Was eben noch eine palmengesäumte
Idylle war, brennt Sekunden später im Napalmfeuer. Wo gestern noch
die Zivilisation schlimmstes verhüten konnte, richtet sie morgen bereits
unverzeihbare Greuel an. Maschinen und Animismus. Die Ästhetisierung
des Unmenschlichen. Charles Bullen, Charles Hayward und Gareth Williams
schufen eine Klangwelt, die brachial war, funky, maschinell, dennoch
menschengemacht; was heute vertraut klingt und weniger schockierend
denn angenehm kathartisch, verunsicherte die Rock-Klientel bei Erscheinen
gehörig: Auf das Debüt 'This Heat' mit seinen rollenden Drum-Pattern,
den fiepsenden Maschinen und den elegischen Psalmen folgte eine Maxi,
bei der erstmals nicht mehr klar war, ob sie auf 45 rpm oder auf 33
rpm abgespielt werden sollte - heute eine weit verbreitete Verunsicherungsstrategie
von Techno- oder Elektronik-Labels. Dazu kamen Live-Auftritte, deren
alles überrollende Echokanonaden und Schlagzeugattacken jede Punkband
wie einen Haufen aufgeschreckter Hühnerdiebe erscheinen ließ. Das
Oeuvre von This Heat rundete sich schließlich mit der zweiten
und letzten CD 'Deceit', die in gesetzten, gregorianisch anmutenden
Gesängen zum Thatcher'schen Leichenschmaus lud. Vorbei. Geschichte.
Die Nicht-Stille nach zuviel Gerede. |
Genrecheck:
Industrial
Music
55
THIS HEAT
'This Heat' (1978)
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