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Was für Robert Fripp noch harte Arbeit im Steinbruch
des Grundsätzlichen war, ist gerade zwei Jahrzehnte später tatsächlich
massenkompatibel - auch wenn Fripps achtziger Prophezeiung, "small,
mobile, intelligent units" würden die großen Plattenfirmen demnächst
ablösen und sich als neues Wirtschaftsmodell des 21. Jahrhunderts
etablieren, eher in jene Futuristen-Schublade gehört, die uns zur
Jahrtausendwende atomgetriebene Rasenmäher versprach. Was sich gebildet
und durchgesetzt hat, ist ein extrem fragmentierter Popmarkt, der
einen wirklichen Mainstream nicht mehr kennt und es einer neuen Kaste
mittelständischer Unternehmer erlaubt, von und aus der Szene zu leben.
Manchmal gelingt es solch einer Firma, die oft noch gar nicht weiß,
daß sie eine Firma ist, zur richtigen Zeit die richtige Musik zu unterstützen:
So geschehen bei Drag City und anderen Labels in Chicago, die in den
neunziger Jahren begannen, die kreativen Besonderheiten der Stadt
und einer befreundeten Clique in Kentucky zu bündeln und sie als etwas
in die Welt zu bringen, das bald als Post Rock schubladisiert werden
sollte. Besonders die lockere Formation Tortoise (und niemand
versuche, das Wort à la française herauszuknödeln!) hat es mir angetan,
weil deren superbes Debüt ganz unkompliziert und ungeniert auf die
siebziger Jahre zurückgriff, um so verpestete Stile wie Fusion oder
Jazzrock unter die zeitgenössische Lupe zu nehmen, brauchbare Versatzstücke
herauszulösen und mit dem stilistischen Know-how der Gegenwart zu
recyclen.
Aber so richtig gekracht und gescheppert
hat es erst auf dem Zweitling 'Millions Now Living Will Never Die'
der neben fünf anderen, mehr oder minder gelungenen Instrumentalnummern
das über 20minütige 'Djed' enthielt: die Musik der Zukunft, somehow.
Tortoise gelang etwas ganz seltenes - sie betraten Neuland.
Die Musiker um John McEntire reflektierten die eigenen Produktionsbedingungen
in ihrer Musik, bedachten Sampling und Dancefloor und Independent
und Jam Sessions und digitale Störgeräusche, ließen sich speziell
auf letztere ein und benutzen sie zur Rhythmisierung des suitenhaften
'Djed', transformierten sie also aus dem Negativen ins Konstruktive,
ins Musikalische, und das auf eine Art, die eine Gruppe nicht ins
Getto der Avantgarde zurück katapultiert, sondern die Sinnesorgane,
die Aufnahmefähigkeit eines weltweiten Millionenpublikums öffnet,
verändert, neu kodiert hat. Tortoise haben mit dieser einen
Nummer ihre Schuldigkeit getan und aus dieser Welt einen schöneren
Ort gemacht - jetzt können sie sich von mir aus auflösen, zersplittern,
sich neue Abenteuer ausdenken oder Schlagermusikanten produzieren.
Danke. |
Genrecheck:
Post
Rock
58
TORTOISE
'Millions Now Living Will Never Die' (1981)
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