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"I'm a Conservative" Teil 1 : 2 : 3 : 4 : 5
Abteilung 16, in der vier Tenöre auf den Tod warten und drei Mädels so richtig falsch singen  
  Es sind dann doch die Stimmen, die einen am Leben erhalten. Nicht so sehr die Wörter und Worte, sondern die Stimmen. Ich weiß, die Generation nach mir feiert ihre Sprachlosigkeit - Verzeihung: ihr Nicht-Sprechen - als Errungenschaft, begnügt sich mit gesampelten Sprach-Fragmenten, einer Parole maximal, mit ein paar dick-schwarzen Soulstimmen im Housegewand und kann genau erklären, warum das gut ist und nicht anders.
     Aber ich brauche Stimmen. Stimmen, und das ist das Wichtigste, trösten. Sie teilen sich mir mit, erzählen in Tonfall und Stimmlage von einem anderen Leben, das gewisse Überschneidungen mit meinem aufweist, aber auch ungezählte andere Optionen enthält. Sie berühren. Sie geben Halt. Auf sie ist Verlaß, weil ich es so will. Von ihnen lasse ich mich gern belügen, weil ihre Lügen auch die meinen sind. Die erste Stimme, die mich anfiel wie ein Gott, gehörte Bob Dylan. Vermutlich kannte ich damals ein paar seiner Lieder in der Version der Byrds, jedenfalls kaufte ich zögerlich seine LP 'Desire' und war schockiert nach dem ersten Hören - darauf war ich nicht vorbereitet gewesen. Da ist ja gar keine richtige Musik drauf, bloß viel Mundharmonika und Gefiedel, ein wenig Rhythmusgitarre und Schlagzeug. Die Arrangements sind nur Vorwand: Dylan singt im Prinzip eine Stunde lang auf seinen Hörer ein, die Stimmbänder in die Nase verpflanzt, mal intonierend wie ein Araber, mal wie ein mexikanischer Outlaw, meist wie ein Irrer, ja, ein Cyrano de Bergeraç, der zuviel Speed eingepfiffen hat. Die Songs sind meist keine Songs, sondern Melodramen, halb englische Ballade, halb Hollywood-Drehbuch, ein Western, ein Krimi, ein Horrorfilm, mal Scorsese, mal Hawks, mal irgendwas mit Rock Hudson. Hier nimmt einer Anlauf. Hier springt einer ab. Und er weiß nicht, ob unten im Becken Wasser ist. Nochmal die Ehe retten wollen. Nochmal konkret politisch sein. Aber dann doch nicht aus seiner Haut können. Bis er 1997 'Time out of Mind' veröffentlichte, hat sich Dylan immer wieder anhören müssen, 'Desire' sei seine letzte gute Platte gewesen. Vermutlich haßt er sie. Vielleicht spielt Dylan bei seinen Konzerten deswegen so gut wie nie einen Song aus 'Desire'.

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BOB DYLAN
'Desire' (1975)

 

 

 

 

 

 

 

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