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Selbstverständlich mag es für den einen oder die andere
von uns ein Fest sein, sich mit einer Dose warmem Bier und Dock Boggs
im Walkman ins Untergeschoß einer Fußgängerzone zu setzen und sich
von Hunden anpinkeln zu lassen. Aber heute nicht, nicht mit mir: Ich
ziehe meine besten Kleider an; die Wohnung ist frisch gewienert und
der Tisch gedeckt mit passenden Tellern, Silberbesteck und je einem
Extraglas für Wein und Wasser. Tulpen stehen in der Vase, die Rotweinflasche
ist geöffnet, damit ihr Inhalt atmen kann - was auch immer das heißen
mag. Draußen bricht die blaue Stunde an, irgendwo dort draußen ist
sie unterwegs zu mir, irgendwie hier drinnen fehlt aber
noch etwas: Musik.
Hätte nicht Großvater einen Täuber oder
Caruso aufs Grammophon gelegt, so er eines besaß? Und auch ich brauche
opulente Musik für meine Daisy, akustische Fülle, Überschwang und
Dekor, großangelegte Schlachtengemälde meiner Liebesfähigkeit, geerdet
in simplen Worten und Gesten. Ich brauche Musik, die den Raum erfüllt,
ohne die volle Aufmerksamkeit zu fordern, Musik, die nicht allzu subtil
meine Stimmungslage ausdrückt, aber dem Gast auch nicht gleich eine
Art von akustischem Knutschfleck verpaßt. Kurz, ich brauche Operette.
Ich brauche 'Orange Crate Art' von Van Dyke Parks und
Brian Wilson. Schon die ersten Takte des Titelstücks bestätigen
meine Wahl; Gitarren plinkern wie in einem Barock-Konzert, haben aber
hawaiianische, nicht italienische Sonne gebunkert, Streicher überschlagen
sich wie in einer sentimentalen Filmmusik - die beiden Großmeister
bei der Arbeit. Für mich ganz alleine breiten der geisteskranke Songwriter
und der dickliche Herr unter Genieverdacht ihre Regenbogenpalette
aus, distinguiert zwar - man ist ja kein LSD-fressender Twen mehr
- aber immer noch so kraftvoll und verschwenderisch wie eine Musiksequenz
in einem Disneyfilm. Van Dyke Parks, Beach-Boys-Kollaborateur
der zweiten Stunde und weiland einziger kongenialer Widerpart für
den an depressiven Seelenfresserkrankheit leidenden Brian, weiß auch
mit dem alternden Wilson umzugehen. Buntes Seidentuch um buntes Seidentuch
ziehen sie gemeinsam aus dem Zylinder, schleudern Doo-Wop-Karnickel
durch die Luft, springen durch Reifen aus brennenden Akustikgitarren,
balancieren Akkordeonspieler auf dünnen Stäbchen und zersägen Jungfrauen
wie einst im Mai, während dazu gefakte Chinamann-Akkorde wie ein schwerer
Duft in der Luft liegen.
Die Musik, die sie da spielen, ist uralt,
könnte vielleicht von Rodgers und Hammerstein sein oder aus dem Repertoire
von Cole Porter. Aber die Musical- oder Operettenqualität wird immer
noch mit genügend Pop-Weisheit - "Movies is magic/real life is tragic"
- aufgeladen, um nicht zu gemütlich zu geraten. Wie in einem David-Lynch-Film
ahnt man bereits beim ersten Mithören, daß an diesem weißen Traumgestade
die eine oder andere Leiche vermodert, nur nächtens freigespült, um
fette Krabben zu nähren. "Ich hab' ihr doch nur in die Schulter gefixt..."
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Genrecheck:
Surf Music
34
VAN DYKE PARKS / BRIAN WILSON
'Orange Crate Art' (1995)
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