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Abteilung 9 (Fortsetzung) Teil 1 : 2 : 3 : 4
  Und Daisy? Ist nicht gekommen. Während mir Van Dyke Parks und Brian Wilson immer höhere Palmen, immer längere Piers, immer breitere Strände und immer einsamere Spaziergänge ins Zimmer fabulieren, wächst die Lust, einen der Geigenbrecher zu reiten, die aus den Boxen schlagen, durch die fünf anderen Van-Dyke-Parks-Platten zurück bis zum kaum konsumierbaren Trip-Epos 'Song Cycle' zu surfen oder gar ins Reich der goldbraunen Buben vorzudringen, deren tragisches Los es war, perfekte Musik in einer wenig perfekten Welt zu machen, sonnenverliebte Sounds für schlagende Väter, dumpf-dumme Cousins, ehrgeizige Brüder.
     Konsens ist ja, daß 'Pet Sounds' (1967) von den Beach Boys größer sei als 'Sergeant Pepper's...', was ja nun nicht direkt ein Kunststück ist, und daß die Welt eine bessere wäre, hätten Wilson und Parks anno tobak ihre Monstersuite 'Smile' vollendet. Dabei wird gerne übersehen, daß mit 'Surf's Up' ein opus magnum vorliegt, das zum Zeitpunkt seines Erscheinens nur deshalb unterging, weil die Beach Boys in jenen Post-Woodstock-Jahren für absolut unmöglich und bescheuert zu gelten hatten wie heute die Kelly Family. Und weil spätere Sammler- und Fan-Generationen lieber dem unvollendet gebliebenen "Smile" nachjammern, anstatt die Musikjournale dieser Welt mit Hymnen auf 'Surf's Up' zu bombastieren, um mit John Lennons Übersetzer zu schreiben.
     Dabei betreten wir mit 'Surf's Up' düstere Weiten: Ja, das Wasser ist verschmutzt, 'Don't Go Near the Water', die Beach Boys werfen ihre Surfbretter in die braune Brühe und ekliger Teer klebt zwischen den Zehen. Aber das allein wäre bloß ein Protestliedlein wie viele andere. Die Rock'n'Roll-Parodie 'Student Demonstration Time' offeriert kläglichen Revoluzzer-Zeitgeist, ähnlich zaghaft wie 'Revolution' von den Beatles. Da muß schon mehr passiert sein: Da muß der Wilson-Bekannte Charles Manson den ganzen Hippietraum gleich mitgemeuchelt haben, als er Sharon Tate aufschlitzen ließ. Da muß mit Martin Luther King und Bobby Kennedy und den drei Studenten in Ohio mehr gestorben sein als fünf Menschen, daß die Beach Boys klingen wie Allen Ginsberg ('A Day in the Life of a Tree'), ein Lied 'Welfare Song' nennen, einen Abgesang auf die Unschuld der Jugend ('Surf's Up' aus der 'Smile'-Session) und eine schmerzverzerrte Erinnerung an die eigene Kindheit ("Disney Girls 1957') anstimmen; da muß die Paranoia der Zeit, die unbeherrschbare Gewalt und die täglichen Widersprüche an diesen sonnigsten Helden des amerikanischen Pops genagt haben wie die Schlange an den Wurzeln der Weltenesche.
     Von 'Student Demonstration Time' abgesehen, das nur eine Variante des 'Jailhouse Rock' ist, bleibt die Musik erstaunlich homogen in abendgestimmten Farben. Fast meint man, jemand habe die schunkelnde, frohsinnige Musik der Beach Boys an jene mythische Yggdrasil gebunden und mit Honig bestrichen, den Ameisen zur Freude, so zerren und winden sich die Melodien in ihrer neuen, so ungewohnten Form, wollen ausbrechen aus diesem Gefängnis aus Zeitgeist und Depression, kommen aber nicht los. Schon ein Blick auf das Cover lädt zum Verzweifeln: ein indianischer Krieger mit gesenktem Haupt und gesenkter Lanze auf geschundenem Pferd. Sonnenuntergang. Die Schlacht verloren, aber überlebt. Die Frage aller Überlebenden aller Zeiten stellend: "Warum ich?" Und die Beach Boys haben keine Antwort, leben nur die eigene Selbstzerstörung fort, Brians Wahnsinn, Carls Tod, Dennis' Tod. Die Gewöhnlichkeit und Geldgier der anderen. Keine Gnade. Keine Erlösung. Kein Vorhang. Jede Operette schlägt ins Dramatische um, wenn man sie nur lange genug spielt.

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BEACH BOYS
'Surf's Up' (1971)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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