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Und Daisy? Ist nicht gekommen. Während mir Van Dyke
Parks und Brian Wilson immer höhere Palmen, immer längere Piers, immer
breitere Strände und immer einsamere Spaziergänge ins Zimmer fabulieren,
wächst die Lust, einen der Geigenbrecher zu reiten, die aus den Boxen
schlagen, durch die fünf anderen Van-Dyke-Parks-Platten zurück bis
zum kaum konsumierbaren Trip-Epos 'Song Cycle' zu surfen oder gar
ins Reich der goldbraunen Buben vorzudringen, deren tragisches Los
es war, perfekte Musik in einer wenig perfekten Welt zu machen, sonnenverliebte
Sounds für schlagende Väter, dumpf-dumme Cousins, ehrgeizige Brüder.
Konsens ist ja, daß 'Pet Sounds' (1967)
von den Beach Boys größer sei als 'Sergeant Pepper's...', was
ja nun nicht direkt ein Kunststück ist, und daß die Welt eine bessere
wäre, hätten Wilson und Parks anno tobak ihre Monstersuite 'Smile'
vollendet. Dabei wird gerne übersehen, daß mit 'Surf's Up'
ein opus magnum vorliegt, das zum Zeitpunkt seines Erscheinens nur
deshalb unterging, weil die Beach Boys in jenen Post-Woodstock-Jahren
für absolut unmöglich und bescheuert zu gelten hatten wie heute die
Kelly Family. Und weil spätere Sammler- und Fan-Generationen
lieber dem unvollendet gebliebenen "Smile" nachjammern, anstatt die
Musikjournale dieser Welt mit Hymnen auf 'Surf's Up' zu bombastieren,
um mit John Lennons Übersetzer zu schreiben.
Dabei betreten wir mit 'Surf's Up' düstere
Weiten: Ja, das Wasser ist verschmutzt, 'Don't Go Near the Water',
die Beach Boys werfen ihre Surfbretter in die braune Brühe und ekliger
Teer klebt zwischen den Zehen. Aber das allein wäre bloß ein Protestliedlein
wie viele andere. Die Rock'n'Roll-Parodie 'Student Demonstration Time'
offeriert kläglichen Revoluzzer-Zeitgeist, ähnlich zaghaft wie 'Revolution'
von den Beatles. Da muß schon mehr passiert sein: Da muß der
Wilson-Bekannte Charles Manson den ganzen Hippietraum gleich mitgemeuchelt
haben, als er Sharon Tate aufschlitzen ließ. Da muß mit Martin Luther
King und Bobby Kennedy und den drei Studenten in Ohio mehr gestorben
sein als fünf Menschen, daß die Beach Boys klingen wie Allen Ginsberg
('A Day in the Life of a Tree'), ein Lied 'Welfare Song' nennen, einen
Abgesang auf die Unschuld der Jugend ('Surf's Up' aus der 'Smile'-Session)
und eine schmerzverzerrte Erinnerung an die eigene Kindheit ("Disney
Girls 1957') anstimmen; da muß die Paranoia der Zeit, die unbeherrschbare
Gewalt und die täglichen Widersprüche an diesen sonnigsten Helden
des amerikanischen Pops genagt haben wie die Schlange an den Wurzeln
der Weltenesche.
Von 'Student Demonstration Time' abgesehen,
das nur eine Variante des 'Jailhouse Rock' ist, bleibt die Musik erstaunlich
homogen in abendgestimmten Farben. Fast meint man, jemand habe die
schunkelnde, frohsinnige Musik der Beach Boys an jene mythische
Yggdrasil gebunden und mit Honig bestrichen, den Ameisen zur Freude,
so zerren und winden sich die Melodien in ihrer neuen, so ungewohnten
Form, wollen ausbrechen aus diesem Gefängnis aus Zeitgeist und Depression,
kommen aber nicht los. Schon ein Blick auf das Cover lädt zum Verzweifeln:
ein indianischer Krieger mit gesenktem Haupt und gesenkter Lanze auf
geschundenem Pferd. Sonnenuntergang. Die Schlacht verloren, aber überlebt.
Die Frage aller Überlebenden aller Zeiten stellend: "Warum ich?" Und
die Beach Boys haben keine Antwort, leben nur die eigene Selbstzerstörung
fort, Brians Wahnsinn, Carls Tod, Dennis' Tod. Die Gewöhnlichkeit
und Geldgier der anderen. Keine Gnade. Keine Erlösung. Kein Vorhang.
Jede Operette schlägt ins Dramatische um, wenn man sie nur lange genug
spielt. |
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BEACH BOYS
'Surf's Up' (1971)
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