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"Too many midnights on the wrong side of life..." Teil 1 : 2 : 3
Abteilung 19, in der mehr Streicher und Bläser streichen und blasen als im gesamten Rest dieses Buches und Champagner ausgeschenkt wird  
  Ich ging noch zur Schule und spielte Luftgitarre zu Status Quo und Deep Purple, als eines frühen Abends etwas Seltsames geschah: Im Bayerischen Fernsehen lief eine Ausgabe des WDR-'Rockpalasts', selten genug, und der vorgestellte Musiker hieß Tom Waits. Kannte ich nicht. Der offensichtlich betrunkene Kerl mit dem idiotischen Ziegenbärtchen und einer Schiebermütze auf dem Kopf kauerte hinter einem Flügel und gurrte, grunzte, knarrte in einer unsäglich tiefen, geschundenen Stimme seine Barlieder in unsere Wohnstube, an unseren Abendessenstisch. Ich fand ihn eher Scheiße, doch meine Eltern fanden ihn so richtig SCHEISSE! Sie hatten The Who, Iron Butterfly oder Jethro Tull ertragen, mal ein bißchen Interesse geheuchelt, hie und da oder milde gelächelt, aber nun waren sie drauf und dran, Amok zu laufen. Den konnten sie nicht ertragen. Dieses absolut undeutsche Beatnik-Verwahrlosungs-Jazz-Drogen-Geklimper führte direkt in die Hölle. Ich machte mir in Gedanken einen Vermerk, zweimal mental unterstrichen, und besorgte mir bei erster Gelegenheit die Platten von Tom Waits.
     Nun gibt es einen Tom Waits I und einen Tom Waits II: Ersterer machte in den siebziger Jahren phantastische Bukowski-Platten, kalifornische Wrong-side-of-the-Tracks-Miniaturen, die den romantischen Trinker-Quatsch immer noch in den Dienst einer beseelten Beatitude stellten, und die Nachtseite der menschlichen Seele wenigstens mit dem Glühen von Zigaretten und Joints ausleuchten wollten. Doch Waits II verschenkte die Chance, der Frank Sinatra meiner Generation zu werden, für ein angeberisches Avantgarde-Getue, das an den besten Stellen klang wie Beefheart für Arme, aber sich meist eben wie jene Zwetschgenköpfe anhörte, die er weltweit mit diesem Jim-Jarmush-Robert-Wilson-Staatsschauspiel-Gewinsel infizierte, will sagen: wie die Parodie einer Parodie. Wenn eine Plattenfirma den Fehler macht, mir ihren jungen Künstler als "Tom-Waits-mäßig" anzudienen, dann wird die CD ungehört auf den Flohmarktstapel gelegt. Das, ganz nebenbei, als Warnung.
     Und als Ansporn, die raspelnde Erlöserstimme des Tom Waits I zu entdecken, auf 'The Heart of Saturday Night' am besten, wenn sich nach zwanzig Minuten Erstaunen einstellt, daß sich da eine Gitarre in die solide, stilisierte Jazz-Umgebung verirrt, die den Spät-Beatnik-Texten des noch sehr jungen Mr. Waits einen vorher und nachher nicht erreichten Hauch von selbstbestimmter Klasse verleiht. Wie der da seine Poetry-Kaskaden auf den Eiswürfelsound legt, wie sehr der da selber noch an die Verbesserung der Welt durch die Wahrheit glaubt und nicht an den ironischen Kunst-Krampf, dem er sich vor lauter Saufen und Zynismus wird hingeben müssen: Das ist unfaßbar reich und überlegen.

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TOM WAITS
'The Heart of Saturday Night' (1974)

 

 

 

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