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Doc Pomus, Dr. John, Johnny Adams: Alle drei kommen aus einer Welt
vor Pop und machen in der Popwelt einfach weiter ihren Stiefel -
weil er zufällig Pop ist. Daraus resultiert eine zeitunabhängige
Coolness, die nicht zu unterschätzen ist. Wenn man dagegen zu 100%
Pop war, jung und dumm und schön und scharf, dann mußte natürlich
alles viel schneller gehen und ganz anders und peng! Tim Buckley
fing in der obligatorischen Highschool-Band an, gefiel den Mädchen,
gefiel den Managern, hatte eine 12-saitige Gitarre und eine Stimme
von ziemlich tief unten bis wahnsinnig hoch rauf. Stimme plus Instrument
plus Knuddeligkeit prädestinierte ihn zum Folkie, vielleicht sogar
zum neuen Dylan oder zum kalifornischen Donovan. Auftritt Schnaps
und Heroin und Langeweile und Underground. Der dumme Pöbel muß doch
auch für Improvisationen über Skalen zu begeistern sein, für Konzerte,
bei denen einer halbstundenlang den Trompetenpart singt, für Röcheln
und Trillern und Falsett-Gequietsche? Wenn Tim Buckley high war,
hörte sich das für ihn cool an: Stimme als Instrument, Freiheit,
Kunst. Dr. John hätte da nur seinen Bart gekrault und sich den nächsten
Schuß gesetzt - weil er ein Junkie war und nicht zwecks Inspiration.
So ging alles schief, und Tim Buckley verreckte an einer versehentlichen
Überdosis. Er hinterließ Kitsch, Kunsthandwerk und die großartigsten
Kunstlieder, die einer aus dem Lande Pop je rausgetan hat, von John
Cale mal abgesehen. Leider sind sie nicht auf einer Platte, ist
'Song to the Siren' auf der hermetischen Drogenplatte 'Starsailor',
ist das unendlich zärtliche 'I Had a Talk with my Woman' auf 'Lorca',
also sei 'Happy Sad' die Eintrittskarte in die Welt eines
jungen Egomanen, der sein Leben in einer Orgie der Selbstzerstörung
wegwarf und uns nur diese kalifornische Winterreise hinterlassen
hat, schon nicht mehr Folk, noch nicht Größenwahn, sondern ein erstes,
vorsichtiges Hineinleuchten in eine gefährliche, schließlich tödliche
Zukunft.
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TIM BUCKLEY
'Happy Sad' (1969)
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