|
Klingen doch alle Stücke gleich. Sagen die alten Säcke.
Hören nicht die neue Musik. Schrieb einst sinngemäß Diedrich Diederichsen,
wo einmal ein Guter war. Darum ist der Blues der neunziger Jahre für
viele so schwer zu entdecken, weil er immer noch mit Herz und Hirn
und Hintern erkannt werden will - auch wenn man, weiß Gott, als 40something
den Techno nicht mehr tanzen kann, nicht den Jungle, den Neurofunk,
den Drum und den Bass, den Electro nicht und nicht den House, nicht
Speed Garage oder Two Step: Der Hintern hat Ruh'. Doch was schert
das die Musik? Der Lärm geht weiter, der Aufriß, das Zucken, Zerren,
Zappeln der Hormone und Gefühle. Die Gedanken stehen nie still. Und
der Blues macht, was er will.
Der Eindruck ist nicht ganz falsch,
daß der Blues heute MDMA schluckt und in den Techno-Katakomben und
Drum'n'Bass-Bars zu Hause ist.
Doch selbst die Jahrtausendwende hat
ihre wirren Blues-Buben, die sich aus den halbauthentischen Klangquellen
bedienen, die bruitistische Landeier wie Junior Kimbrough oder R.L.
Burnside nicht versiegen lassen. Den harten Bluesdrink nouveau eingeschenkt
hat zu allererst ein gewisser Jon Spencer, der bereits mit
Pussy Galore dem herberen Geschmack verpflichtet war und seit
1990 mit seiner Blues Explosion immer gewagtere Mixturen aus
seinem dahinjagenden Schlangenölverkaufsmobil schleudert: 'Now
I Got Worry' kreischt wie besessen um die Kurve; im Vorbeihetzen
erkennen wir, daß sowohl die Rythm'n'Blues-Röhre Rufus Thomas, der
Bluesvernichter Thermos Mallig von Doo Rag und als Hipster
vom Dienst Money Mark (gerne auch Keyboarder der Beastie Boys und
genialischer Schöpfer von so etwas Unmöglichem wie Ambient-Easy-Listening)
mit von der wüsten Partie sind. 'Now I Got Rhythm' wird passenderweise
von einem grellen Schrei eröffnet, der unmittelbare Gefahr und Betroffenheit
signalisieren soll. Aber wir fallen nicht darauf herein: Dies ist
nur ein Bühnenschrei, der Schrei eines Synchronsprechers vielleicht,
der hier den alten Blues für uns übersetzt. Die Wildheit des Blues
ist auf 'Now I Got Rhythm' nur Fassade, hinter der sich vielleicht
eine andere Wildnis verbirgt, andere Abgründe, von denen wir noch
nichts wissen können, aber keinesfalls der ländliche Existentialismus
des Originals. Nach dem Original wird hier aber gar nicht mehr gesucht;
es wird nur noch enzyklopädisch vorgeführt. Und Schluß. |
Genrecheck:
Techno
30
JON SPENCER'S BLUES EXPLOSION
'Now I Got Worry' (1996)
Weiter
>>
|