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Propheten im eigenen Land, was soll man dazu noch sagen?
Das "eigene Land" sind in diesem Fall die USA; die Propheten heißen
Richard Hell oder Joey Ramone oder Chris D. oder Mark Mothersbaugh.
Und Punk ist britisch. Eigentlich nicht, blabla, eigentlich kommt
er ja aus New York, blabla, aber erst Malcolm McLaren, blabla, Situationisten,
blabla, Clash und Rough Trade Records und Rock Against Racism,
blabla, Johnny-Rotten-not-forgotten, singt sogar Neil Young.
Und hat nicht der Evangelist der amerikanischen
Rockmusik, Greil Marcus, in seinem Überfliegerbuch 'Lipstick Traces'
alles haargenau aufgedröselt: Punk, der echte mit den drei Streifen
und der Goldkante, ist britisch. Nun, Einspruch, Euer Ehren. Es gibt
mindestens zwei Punkröcker. Eben den epigonalen britischen, der sich
schnell zur zwar vitalen, aber kurzatmigen britischen New Wave wandelte
und seine besten Köpfe an Jazzrock und Hare Krishna verlor. Und eben
den richtigen, den wirren, den Hamburger essenden und Kleber schnüffelnden
Punkrock, der sich selbst gebar aus mieser Teenagermusik, Speed und
einer Abneigung gegen Grateful Dead. Und der ist nun mal zuerst
in New York beheimatet gewesen, dann in Los Angeles und Akron, Ohio,
und Cleveland, Ohio, und dann überall.
Chronologisch die ersten untergründigen
Punk-Platten, die es nach Deutschland schafften, waren die hyperschnellen,
fiesen Punkminiaturen aus Los Angeles, die Chuck-Berry-Coverversion
der Germs, eine der besten Singles aller Zeiten, der 'Tooth
& Nail'-Sampler, Blaupause für den späteren Hardcore, schließlich
'Los Angeles', das Debüt von X, deren Sängerin Exene
Cervenka wie eine mopsige Siouxie aus Transsylvanien aussah, die drei
Buben dagegen karierte Holfällerhemden oder Rockabilly-Chic proklamierten
und damit eine sachliche und ruhige Alternative zum Sicherheitsnadelgetue
der englischen Musikpresse etablierte. X klangen noch sensationeller
als sie aussahen. Die Musik war bloß aufgebohrter Rock'n'Roll, okay.
Aber darüber sangen und klagten in gedehntem, gequälten Unisono John
Doe und Exene von Freuden und Leiden einer subkulturellen Stadtguerilla,
während auf dem Cover ein X abgefackelt wurde wie das Kreuz bei einem
Ritus des KuKluxKlans. Gleichzeitig blinkte im Hintergrund immer schon
das Signal "Mainstream", war der Einfluß des Doors-Keyboarders
Ray Manzarek zu hören, der die Soundfäden zog und die Outlaw-Energie
immer wieder in Rock'n'Roll-Regeln kanalisierte. So ist es dann auch
gekommen: X, immer nur so viertelt erfolgreich, gaben den scheinbaren
Bedürfnissen des Mainstream-Rocks immer mehr nach, ohne sich je ganz
durchsetzen zu können: perdu. Aber 'Los Angeles' ist noch das große
Versprechen, die erste Liebe, Punk in seiner ganzen, seltsamen Schönheit.
Und wahrlich einen Platz in dieser Sammlung wert. |
84
X
'Los Angeles' (1980)
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