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Ironischerweise über eine große Plattenfirma, ganz ohne
Vorwarnung, einfach so, landeten ab 1978 die Platten von Pere Ubu
aus Cleveland in Deutschland. Devo waren schon seltsam, mit
ihren abgehackten Rhythmen und dem quietschigen Gesang und allem,
aber das war noch irgendwie Popmusik, während Pere Ubu dem
Rest der Popwelt zwei Jahrzehnte voraus war: Das kommt davon, wenn
man in einer dreckigen Industriestadt unbedingt in eine Art innere
Emigration gehen muß. Das Apokalyptisch-Industrielle wurde Pere
Ubu nicht zur Industrial Music, gottseidank, sondern wurde verinnerlicht,
verdaut, in seltsamen Naturmetaphern und in den dinosaurier- und vogelfixierten
Texten eines David Thomas wieder hervorgewürgt, postindustrielles
Gewölle, irgendwie Rock, vielleicht sogar Punkrock, oder doch New
Wave, jedenfalls mit seltsamen Synthie-Geräuschen, einem steten Fiepen
und Brummen und Twängtwängtwäng. 'New Picnic Time' ist mir
die liebste Platte von Pere Ubu, weil sie eine jener großartigen
Platten ist, die auf Messers Schneide einher balancieren, zwischen
Gestern und Morgen stehen, zwischen Revolte und eigenem Klassizismus,
zwischen Aufbruch und Dekadenz. Und all dies ist noch und schon zu
hören, ganz ähnlich wie bei 'Exile on Main Street', ganz ähnlich wie
bei 'Sign O the Times'. Mal kräht David Thomas sein einziges Statement
zu seiner Mitgliedschaft bei den Zeugen Jehovas heraus, mal wird sanft
der Blues ausgebreitet, mal wild getanzt. Als Zukunft noch eine Gegenwart
hatte.
Heute sind Pere Ubu zur Begleitband
von David Thomas geworden und haben den Weg vieler Revoluzzer/Lampenputzer
beschritten: nach erfolgreicher Destruktion links abbiegen, dann Katzenjammer,
dann formale Strenge. Auch okay. |
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PERE UBU
'New Picnic Time' (1979)
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